myUtopiA
Ich sehe was, was du nicht siehst
von Kathia von Roth / ab 14 Jahren
URAUFFÜHRUNG
im Studio
Premiere Samstag, 25.05.2024 / 19:30 Uhr im Studio
Dauer: ca. 75 Minuten, keine Pause
Besetzung
Z1 Moritz Rauch
Z2 Antonia Tenbrock
Z3 Dyana Maria Krupezki
Text & Regie Kathia von Roth / Ausstattung Torben Spieker / Musik Radi Kalib /
Dramaturgie Heike Seidler / Regieassistenz Milena Gehrke / Dramaturgische Mitarbeit
Florian Büchel / Technischer Leiter Klaus Herrmann / Bühnenmeister Michael
Bröckling / Einrichtung Licht Fabian Cornelsen / Programmierung Licht Viviane
Wiegers / Betreuung Licht Viviane Wiegers & Laurin Steinhoff / Betreuung Ton Juri
Zitzer / Requisite Sona Ahmadnia & Annette Seidel-Rohlf / Leitung Kostümabteilung
Claudia Schinke / Maske Ulla Bohnebeck & Henriette Masmeier / Einrichtung
„Künstliche Intelligenz“ (LIama3) Kathia von Roth, Torben Spieker & Florian Büchel
Anfertigung der Kostüme und Dekorationen in den Werkstätten des Theater Paderborn.
// Inhalt
Input: ChatGPT, schreibe einen Ankündigungstext für myUtopiA!
Output: Gerne, hier ist ein Vorschlag für einen Ankündigungstext: Das Stück
myUtopiA folgt drei Jugendlichen, die zusammen einen Youtubekanal angefangen
haben. Sie nennen sich alle Zarathustra! Sie wollen sich äußern, ihre Lebensrealitäten
und ihre Stimmen wahrnehmbar machen und sie wollen auch Anderen helfen, das zu
tun! Sie fangen an und stoßen schnell auf Fragen: Wie wollen sie mit ihrer
Öffentlichkeit umgehen? Wie wollen sie sprechen und über was? Und wer guckt sich
das eigentlich an? Niemensch soll sich ausgeschlossen fühlen! Doch als sie erst
einmal loslegen, merken sie, dass sie sich schon zu dritt gar nicht so einig sind, wie
sie dachten. Und was, wenn sich das plötzlich wirklich ALLE angucken? Wie immer
in Kathias Theaterformaten hört auch eine KI aufmerksam zu. Und also sprach
Zarathustra 123: …
// Kathia von Roth
Kathia von Roth, geboren in Hamburg, forscht und lehrt als wissenschaftliche
Mitarbeiterin im Studiengang Code & Context an der TH Köln und ist seit mehr als 15
Jahren als Künstlerin, Aktivistin und Revolution Consultant tätig. Seit ihrem
Theaterregiestudium (Abschluss B.A. 2013) verbindet sie Methoden des
Theaterstücks und der Performance mit Werkzeugen und Theorien des (analogen)
Gamedesigns und Softwaredesigns. In ihrer Arbeit baut sie physische und/oder
konzeptionelle Formate temporärer „utopischer Zonen“ für kollaboratives Schaffen
auf, von immersiven Theaterräumen, die wie Alternative-Reality-Spiele aufgebaut sind,
bis hin zu transformativen Interaktionsstrukturen im Kontext von Festivals,
Konferenzen, kollektiver Kunstarbeit oder Softwareschnittstellen. Indem sie
spielerisch Räume entwirft, umgeht sie die Angst vor dem Scheitern. Sie fördert
Interaktion und (Selbst-)Vertrauen und bringt ihr Publikum stets dazu, in der sicheren
Umgebung eines Spiels miteinander zu interagieren und Vertrauen aufzubauen. Dabei
schafft sie Erfahrungsräume, die bei den Teilnehmenden neue Erfahrungen
ermöglichen und Verhaltensweisen hervorrufen, die in der sogenannten „Wirklichkeit“
wirksam werden. Ihre künstlerische Praxis widmet sich dem Erforschen der
performativen Kräfte von Gestaltung und Narrativen.
Quellen: https://www.kathiavonroth.de/about/ und https://coco.study/iteration/
(zuletzt abgerufen am 07.05.2024)
// Nietzsche und Zarathustra
Also sprach Zarathustra gilt als das Hauptwerk des Philosophen Friedrich Nietzsche.
Es erscheint aber doch seiner Form und Gattung nach nicht unmittelbar als ein
philosophisches Werk. […] Platon setzte dem mythischen Denken, das für ihn Fiktion
war, das logische entgegen. Das logische Denken verstand er als Weg zur Wahrheit.
Nietzsches Zarathustra gehört aber offensichtlich zur „fiktiven“ Literatur. Zarathustra
ist eine erfundene Gestalt. […]
Es enthält zwar die sogenannten „Lehren“ Nietzsches, wie die „Lehre vom
Übermenschen“, die „Lehre vom Willen zur Macht“, „von der ewigen Wiederkehr des
Gleichen“ und vom „Tode Gottes“, aber es relativiert sie als Zarathustras Lehren. […]
Zarathustra ist nach Nietzsche zwar „Einer, der die Wahrheit erst schafft“, aber
doch gerade nicht als „die“ Wahrheit für alle Zeit. Auch Zarathustra hat „seine Zeit“.
Er kann kein Vorbild für zukünftige Philosophen sein, weil Philosophie sich nicht
vorweg an Vorbilder binden kann. Das allerdings macht sein Schicksal deutlich: Der
„Übermensch“ wird dem „modernen“ oder „höheren“ Menschen entgegengesetzt,
„theoretisch“ urteilen zu könne, ohne selbst in das Schicksal des Andersseins
involviert zu sein. Aber der „Übermensch“ ist kein „Ideal“, sondern als „Typus“ gerade
der „Gegensatz“ zu einem Ideal, und so ist er in der „Figur Zarathustras“ literarisch
„zur Erscheinung gebracht worden“. Der moderne Mensch denkt, wenn vom
„Übermenschen“ die Rede ist, an etwas, was er schon zu kennen und wovon er schon
einen Begriff zu haben glaubt, etwa an eine Entwicklung des Menschen im
darwinistischen Sinn. Die ihn so verstehen, nennt Nietzsche „gelehrtes Hornvieh“. Der
„Übermensch“ ist eher der Mensch, der die anderen in ihrer verwechselten
Individualität lieben kann und tatsächlich bejaht, wie sie sind, statt sie an einem
menschlichen Ideal zu messen und danach zu beurteilen. Es ist der Mensch, dem es
recht ist, wenn alles wiederkehrt, wie es alltäglichen Unzulänglichkeit eingeschlossen.
„Ewig keht er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine Mensch ach, […]!
Der kleine Mensch kehrt ewig wieder!“, aber der „Übermensch“ kann auch das noch
ertragen. Er „tut“ es, ohne Begriff davon, daß er es tun soll, auch ohne die Vorstellung,
daß sich die Menschheit zum „Übermenschen“ hin entwickeln sollte. Nietzsches
Übermensch ist kein „Begriff“; eher ist er die Beschreibung einer Haltung, eines
Verhaltens, das jemandem an „guten Tagen“ gelingen kann. In der Wertschätzung des
Individuellen unterhalb des untersten Begriffs sieht Nietzsche die Bedingung auch für
„Staat und Heimatssinn“, und deshalb ist „Apollo“, als Gott des Geordneten, „auch
der Genius des principii individuationis“. Auch „Staat und Heimatssinn“ können „Nicht
ohne Bejahung der individuellen Persönlichkeit leben“. Apoll ist nicht ohne Dionysos.
Die sozialen Tugenden haben hier ihre wahren Grundlagen.
Quelle: Nachwort: Simon, Josef (2008): Friedrich Nietzsche. Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle
und Keinen, Verlag Reclam, Stuttgart, S. 347-366.
// Philosophie des Welt-Spiels
Mit Bezug auf das Spiel des Kindes stellt Nietzsche einen wichtigen Zusammenhang
zwischen Werden und Spiel her. Das Spiel ist die Vorbedingung des Werdens. […]
Die Dionysos-Philosophie des Werdens weist eine Strukturverwandtschaft zum
„schwersten“ Gedanken Nietzsches auf, nämlich zur „ewigen Wiederkunft“ und dem
„Willen zur Macht“. Die Lehre Zarathustras wird dem „Dionysischen“ gleichgesetzt.
[…]
Die berühmte Rede Zarathustras von den drei Verwandlungen des Geistes enthüllt die
tiefsten Motive des Spielgedankens. Dort erscheint der Geist in drei Gestalten: als
„Kamel“, als „Löwe“ und als „Kind“. Damit definiert Nietzsche die verschiedenen
wesentlichen Möglichkeiten des menschlichen Daseins. Nietzsche fragt „Wie der
Geist zum Kamele wird, und zum Löwen das Kamel, und zum Kinde zuletzt der Löwe.“
(Z, von den drei Verwandlungen; KSA4, 24). An wen denkt Nietzsche beim Kamel,
beim Löwen und beim Kind? Das Kamel, das niederkniet, um sich beladen zu lassen,
deutet auf eine Selbsterniedrigung des Geistes hin, auf eine Demutshaltung
gegenüber dem, was er mit Ehrfurcht betrachtet. Das Kamel repräsentiert den
Menschen, der sich vor der Autorität des seit altersher Geltenden, vor den
altehrwürdigen Norm- und Wertvorstellungen des überlieferten Moralkodex beugt, den
die abendländische Philosophie und das Christentum geprägt haben. Er lebt unter
dem Druck der Tradition, der die transzendente Welt als Trost und Anhaltspunkt des
Lebens nimmt.
Der Löwe hingegen symbolisiert den kritischen Geist. Er will frei sein. „Freiheit will er
sich erbeuten“ (Z, Von den drei Verwandlungen; KSA4, 30). Für ihn ist das alte
überlieferte Normensystem nicht mehr gültig, so dass er das alte Prinzip, dem er bisher
gehorcht hat, zerstören will. Der Löwe symbolisiert den Menschen, der alle bisher
gelten Werte ablehnt, der keine Bevormundung mehr zu ertragen vermag. Er hebt
gegen das verhasste „Du sollst“, das ihm sein Vorgänger hinterlassen hat, das
siegreiche „Ich will“ (ebd.) hervor. Der Geist auf der Stufe des Löwen schafft es zwar,
was bisher Anspruch auf Gültigkeit erhoben hat, radikal zu negieren. Aber der Geist
des Löwen schafft noch keine neuen Werte.
Die Freiheit des Löwen vermag schließlich die dritte und höchste Verwandlung des
Geistes einzuleiten: „Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein
Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen. / Ja,
zum Spiel des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen Ja-sagens“ (ebd.,
31).
Der Geist des Kindes überwindet die Löwen-Stufe der Revolte, der Verweigerung,
des Neinsagens und des Nihilismus. Das Bild des Kindes verkörpert des wirklich freien
Menschen, der nicht mehr gegen die alten Werte kämpft, sondern sein eigenes Dasein
genießt, der nichts anders wünscht, als das zu sein, was er ist. Die dritte Stufe des
Geistes stellt einen radikalen Neuanfang dar, eine Wiedergeburt des Geistes, durch
die er sich selbst hervorbringt. Das Schaffen, das Spiel, das Wollen sind der höchste
Ausdruck der Bejahung, durch die der Mensch nicht mehr „Ich will“, sondern
schlechthin „Ich bin“ sagen kann.
Der Gedanke vom Spiel des Kindes ist in einen weltgeschichtlichen
Zusammenhang eingebettet. Obwohl die Bejahung des Kindes gerade erst nach dem
Durchlaufen der beiden ersten Stufen erreichbar ist, stellt sich das Spielende Kind
radikal den beiden ersten Stufen entgegen. Es besteht kein Zweifel, dass erst das
spielende Kind wirklich frei ist. Ihm gehört das neue Weltalter. Das Spiel des Kindes
deutet die neue auftretenden Werte an.
Dieses Bild des spielenden Kindes ist als zentrales Motiv in Nietzsches
Spätphilosophie einzubeziehen, so dass es in engste Beziehung sowohl mit dem
Gedanken vom Willen zur Macht als auch mit dem Wiederkunftsgedanken zu bringen
ist. Die Welt ist ein Spiel. Der Spiel-Begriff nimmt somit eine wichtige Stellung
innerhalb der tragisch-dionysischen Gedankens ein. Spiel ist nichts anderes als ein
dionysisches Phänomen. In beiden Begriffen sieht Nietzsche gleichsam eine Formel
für die „Unschuld des Werdens“, für eine Weltbetrachtung, die sich gegen jede
moralische, metaphysische Auslegung der Welt stellt.
Quelle: Chung, Nak-Rim (2004): Der tragisch-dionysische Gedanke. Eine Interpretation der Philosophie
Nietzsches, Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg, S. 81-82.
// Idealvorstellungen politischer Subjekte
Gesellschaftliche Idealvorstellungen von Subjekt-Sein im Kontext des Politischen
[prägen] die Konstruktionen politischer Identitäten und Selbstpositionierungen
Jugendlicher. Diese Idealvorstellungen werden aus konstruktivistischer Perspektive
als veränderlich, kontextspezifisch sowie gebunden an gesellschaftliche Norm- und
Wertevorstellungen verstanden. Im Folgenden diskutiert [Merle-Marie Kruse] im
Anschluss an Philippa Collin (2015:19ff) drei Paradigmen von „good citizenship“ mit
besonderem Fokus auf die Rolle Jugendlicher. […]
Als erste der drei Idealvorstellungen politischer Subjekte benennt Collin (2015: 19)
„good citizenship as the exercise of rights“, klassischerweise artikuliert im politischen
Liberalismus. Diesem auf das Ausüben politischer Rechte ausgerichteten Paradigma
sind die normative Konstruktion einer_s „citizen-as-adult“ – und damit verbundene
Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen als „not-yet-adult“ (ebd.: 20) – und damit
verbundene Vorstellung von Kindern und Jugendlichen als „not-yet-citizens“ (MoosaMitha 2005: 369) – sowie ein relativ enges Politikverständnis eingeschrieben:
Jugendliche gehen aus dieser Perspektive erfolgreich in die politische
Erwachsenenwelt über, indem sie ökonomisch unabhängige und produktive
Gesellschaftsmitglieder werden, die gesetzestreu sind und ihr Recht, sich an
politischen Wahlen zu beteiligen, wahrnehmen. Subjektwerdung im Kontext des
Politischen wird aus einer solchen Perspektive hauptsächlich über die Erhebung von
Daten zur Partizipation Jugendlicher in politischen Parteien, zur Beteiligung an Wahlen,
über politische Einstellungen und politische Bildung erforscht und beurteilt. Kritisiert
werden können dieses Paradigma und die damit einhergehenden politischen wie
wissenschaftlichen Implikationen vor allem aus einer Position, die das Recht von
Kindern und Jugendlichen hervorhebt, als „differently equal members of society“ (ebd.:
386) anerkannt zu werden, und die damit zugleich die Dichotomie von öffentlich und
privat infrage stellt, welche die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und
Jugendlichen als vermeintlich „privat“ marginalisiert.
Das zweite von Collin (2005: 20) diskutierte Paradigma definiert „goog citizenship
as the exercise of dutie“ und konstruiert Subjekt-Sein im Kontext des Politischen vor
allem über die Ausübung politischer Pflichten. Eine solche Idealvorstellung
pflichtbewusster politischer Subjekte findet sich etwa in republikanischkommunitaristischen, deliberativen und neo-konservativen Theorietraditionen. Wie auch die liberalen Theorien betont diese pflichtbasierte Paradigma Partizipation in „der
Öffentlichkeit“ und in den klassichen politischen Institutionen, priorisiert dabei jedoch
die ethische Dimension politischer Tugenden („civic virtue“ und eines Gemeinwohls
bzw. eines gemeinsamen Verständnissen geteilter Werte und Bedeutungen („public
good“) über Privatinteressen und privaten Rechten Einzelner. „Gute“ politische
Subjekte werden aus einer solchen Perspektive vor allem am Grad ihrer aktiven
Partizipation in politischen Institutionen und/oder zivilgesellschaftlichen
Organisationen beurteilt (vgl. auch Bakardjieva 2009: 92f.; Dahlgren 2012, 2013:
133ff; Schaal/Heidenreich 2016: 61ff.). Diese Sichtweise, die ideales Subjekt-Sein im
Kontext des Politischen vor allem auf aktive Teilhabe bezieht, kann in Anlehnung an
Positionen kritisiert werden, die politisches Handeln nicht auf aktivitätsbezogene
Beteiligungsformen reduzieren, sondern beispielsweise auch sogenannte latentpolitische Formen der Partizipation – etwa im Sinne einer allgemeinen Hinwendung zu oder eines Involvements mit Politischem – als wichtige Vorbedingungen für politische
Partizipation Jugendlicher mit berücksichtigen.
Als dritte Perspektive auf Subjekt-Sein im Kontext des Politischen diskutiert Collin
(2015:21) „good citizenship as the articulation of difference“, die sie unter anderem in
radikaldemokratischen, feministischen und anderen kritischen Ansätzen politischer
Theorie formuliert sieht. Ein zentrales Merkmal dieser Ansätze ist, dass sie Identitäten
im Allgemeinen und somit auch politische Identitäten bzw. Subjekt-Sein im Kontext
des Politischen als machtvolle Konstruktionen konzipieren. Identität ist demzufolge
nichts Wesenhaftes oder Statistisches, sondern konstituiert sich über
unterschiedliche Modi der Anrufung und Selbstpositionierung […]. Die zweite
wesentliche Gemeinsamkeit der genannten Ansätze ist ein Verständnis von politischer
Identität als fundamental über Differenzen strukturierte Kategorie. Prozesse der
Identitätskonstruktion im Kontext des Politischen umfassen aus einer solchen
Perspektive beispielsweise Kämpfe um Anerkennung von Differenzen und um soziale
Inklusion sowie Widerstände gegen soziale Exklusionsmechanismen. Damit sind diese
Prozesse untrennbar mit gesellschaftlichen Mietverhältnissen verschränkt.
[Schlussfolgernd:] dass mithilfe der zuletzt beschriebenen kritischen,
differenzsensiblen Ansätze das Handeln als politische Subjekte und das Aushandeln
bestimmter in gesellschaftlichen Wissensvorräten verankerter (Ideal-)Vorstellungen
von Subjekten durch Kinder und Jugendlichen fokussiert werden kann. Zum anderen
geht mit einer solchen Perspektive ein erweitertes Verständnis des Politischen einher,
[…] ein Verständnis, das die alltäglichen und machtbasierten Dimensionen des
Politischen betont und somit auch alltägliche, informelle Kommunikationsformen und –
foren Jugendlicher als Aushandlungsprozesse des Politischen anerkennt.
Quelle: Kruse, Merle-Marie (2022): Politik, Medien und Jugend. Politikverständnisse
und politische Identität im mediatisierten Alltag Jugendlicher. Band 27, Verlag
transcript, S. 63-65.
// Generation „Social Media“
Danah Boyd spricht in der Analyse der Generation Social Media von „networked
teens“, die sich in vernetzten Öffentlichkeiten bewegen und aufhalten:
„Öffentlichkeiten (engl. Publics, Ph. W.) schaffen Räume und Gemeinschaften, in
denen sich Menschen versammeln, verbinden und die Gesellschaft, wie wir sie
verstehen, bilden können. Vernetzte Öffentlichkeiten gehören in zwei Hinsichten dazu:
Sie bilden Räume und eine imaginäre Gemeinschaft. Sie werden durch Social Media
und andere neue Technologien ermöglicht. Als Räume erlauben sie Menschen, sich
zu treffen, Zeit zu verbringen und Witze zu reißen. Technologisch ermöglichte vernetze
Öffentlichkeiten funktionieren in dieser Hinsicht so wie Parks und Einkaufszentren es
für frühere Generationen getan haben. Als soziale Konstrukte schaffen Social Media
vernetzte Öffentlichkeiten, die Menschen erlauben, sich als Teil einer größeren
Gemeinschaft zu sehen. Teenager verbinden sich mit vernetzen Öffentlichkeiten aus
denselben Gründen, aus denen sie schon immer Teil einer Gemeinschaft sein wollten:
Sie wollen zu einer größeren Welt gehören, indem sie andere Menschen treffen und
sich frei bewegen können.“ (Boyd, 2014, Pos. 210 ff., übersetzt von Ph. W.)
Social Media bedeuteten für die […] diskutierte Generation einerseits eine
Möglichkeit, anderen Menschen zu begegnen. Diese Funktion kann als räumlich
bezeichnet werden, weil sie früher durch öffentliche oder halb-öffentliche Räume
übernommen wurde. Anderseits erleichtern sie es, Gemeinschaften zu konstruieren.
Ein Beispiel für eine solche Gemeinschaft sind die Fans von Justin Bieber. Über 50
Millionen von ihnen nutzen Twitter dafür, um sich mit anderen, die für den kanadischen
Sänger schwärmen, zu vernetzen. Während es solche imaginierten Gemeinschaften
im Zeitalter der Massenkommunikation schon immer gab, können Social Media sie mit
den ursprünglichen Räumen vorbehaltenen Möglichkeit der Begegnungen koppeln.
Das ist oft bequem, meist aber auch die Lösung eines Problems: In der Agglomeration
und den Städten gibt es immer weniger Orte, an denen sich Jugendliche
unbeaufsichtigt und ohne etwas zu konsumieren versammeln können.
Die Vorstellung einer durch Social Media vernetzten Generation darf nicht darüber
hinwegtäuschen, dass Jugendliche sich in Gruppen organisieren, die sehr
unterschiedlich digitalisiert sind. Das ist zwar von regionalen und sozialen Faktoren
abhängig; spielt sich aber auch auf eine Ebene ab, die davon unbeeinflusst bleiben:
Jugendliche, die sich nicht am Mainstream orientieren wollen oder können, haben
Zugang zu Subkulturen an ganz anderen Orten und in ganz anderen Gesellschaften.
Martin Lindner vertritt in Diskussionen auf Google+ regelmäßig die These, Social
Media verhelfe abseits von etablierten Bildungsstrukturen zu „persönlichem
Empowerment“: Das heißt, die Werkzeuge eröffnen Jugendlichen Handlungsoptionen,
die primär mit ihrer Identität und ihrer persönlichen Entwicklung zu tun haben, nicht
aber mit ihrer Ausbildung oder Bildung.
Quelle: Wampfler, Philippe: Generation „Social Media“ (2014). Wie digitale Kommunikation Leben,
Beziehungen und Lernen Jugendlicher verändert. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, S. 23-24.
// Warum es den digitalen Humanismus braucht
Wir haben ChatGPT, die Diskussion um Metaversen hat wieder an Dynamik
gewonnen, der Einsatz digitaler Medien in den Schulen hat zugenommen und
nachdem KI Beethovens 10. Sinfonie „fertigkomponiert“ hat, gibt es intensive
Diskussionen darüber, ob wir KI nicht auch ein kreatives Potential zuschreiben
müssen.
Man könnte glauben, dass sich die Menschheit an digitale Tools soweit gewöhnt
hat, dass sie sie nicht mehr verteufelt oder heiligspricht – doch das Gegenteil ist der
Fall. Die überzogenen Erwartungen und apokalyptischen Ängste in Bezug auf KI
haben nach wie vor Hochkonjunktur. Mehr denn je werden Softwaresysteme
mystifiziert. Viele Menschen interpretieren ihre beachtliche Leistungsfähigkeit als
Ausdruck von Urteilskraft, Empathie, Einsicht, wie etwa Kognitionswissenschaftler
Eric Schulz, der in seinem Interview mit dem SPIEGEL im Frühjahr 2023 die These
vertrat, Programmierer könnten Chatbots wie ChatGPT Angst oder Paranoia
beibringen. Andere wiederum geraten angesichts dieser Perspektiven in Panik,
erwarten eine Machtübernahme durch KI und halten – von Unternehmern wie Elon
Musk über Wissenschaftler wie Hawkin bis hin zu Künstlern wie dem deutschen
Digital-Künstler Ulf Langheinrich – das Ende der Menschheit für möglich. […]
Auch unsere damalige Beschreibung des Phänomens der Verknüpfung
heilsgeschichtlicher Erwartungen mit digitalen Technologien sowie der animistischen
Aufladung der Figur des Roboters ist zu einer kulturellen Kraft mit problematischen
Nebenwirkungen geworden. Darunter schlummert die Gefahr eines Menschenbilds,
nach dem wir – in Analogie zu software-gesteuerten Systemen – als deterministische
Maschinen gelten. Auch der Begriff von digitalen „neuronalen Netzen“ ist Ausdruck
für eine mechanistische Analogisierung von Menschen und Maschine. Es steht viel auf
dem Spiel in der Diskussion um KI und Digitalisierung: Es geht um nichts geringeres
als um unsere menschliche Würde, unser Selbstverständnis als fühlende, kreative und
humane Wesen.
Quelle: Julian Nida-Rümelin, NathalieWeidenfeld Nathalie (2023): Was kann und darf Künstliche
Intelligenz? Ein Plädoyer für Digitalen Humanismus. Verlag Piper, München, S. 1-2.
// DAS KRUMME HOLZ GERADE RICHTEN – Der Traum von der Vollkommenheit
Wir träumten schon immer von der Vollkommenheit – von Zeiten, Typen und Utopien,
fernab jeder Hässlichkeit, Unordnung, Mühsal und Unannehmlichkeiten des Lebens
so wie es ist. Wie wir sahen, setzen Mythen dieses Golden Zeitalter an den Anfang
der Menschheitsgeschichte, und darauf folgte der Sündenfall – laut der christlichen
Verkündigung mit der Vertreibung aus dem Garten Eden. Die Verkündigung
beinhaltete die Verheißung des wiedergewonnenen Paradieses, allerdings
hauptsächlich konzipiert als ein Leben nach dem Tod, als Trost für das Leid, das im
Diesseits erduldet werden musste. Dagegen ist es der Wissenschaft gelungen, den
Anschein zu erwecken, dass sich Perfektion in diesem Leben verwirklichen lasse.
Woher rührt der Traum von der Vollkommenheit? Die christliche Antwort lautet,
dass wir nach Gottes Ebenbild erschaffen worden seien und wir das Abbild (oder,
nach mancher Überlieferung, die reale Substanz) seiner Vollkommenheit und
Unverderblichkeit in uns trügen. Dem stehen naturalistische Erklärungen für die
Religion an sich entgegen.
In „Den Bann brechen. Religion als natürliches Phänomen“ (Original 2006)
argumentierte Daniel Dennett, primitive Menschen hätten angesichts der Ehrfurcht
einflößenden Geschehnisse in der Natur ihre verschiedenen unsichtbar waltenden
Kräfte zu mächtigen, wohlgesinnten oder rachsüchtigen Wesen personifiziert,
Bewohner einer anderen Welt, die aber in unsere aktiv eingriffen und deswegen durch
kultische Verehrung günstig gestimmt werden mussten. Der Mythos (und später die
Religion) war der erste Verstoß, um die Welt auf eine Art zu erklären, die Wissenschaft
und Geschichtsschreibung aufgreifen sollten. Gott hat nicht uns, sondern wir haben
Gott erschaffen, um uns auf das anders nicht zu Erklärende einen Reim zu machen.
Später erhob die Wissenschaft Anspruch darauf, kraft des Verstandes Licht in bislang
verborgene oder geheime Dinge zu bringen. Wissenschaft, Mythos, Religion und
Magie koexistierten über viele Jahrhunderte, hielten dabei allerdings ein gewisses
Unbehagen aufrecht, eben weil die „letztendlichen“ Kräfte hinter den Geschehnissen
verborgen blieben.
In den antiken animistischen (oder heidnischen) Glaubensformen herrschte
zwischen Menschen und Göttern noch keine Trennung. Wie Menschen und sogar
mehr noch als sie, wurden die Götter von Tugenden und Lastern angetrieben. Sie
waren Verkörperungen all der Naturkräfte, die Heil und Unheil brachten. Aber im
Verlauf der Zeit entkoppelten sich die Gottheiten schrittweise von den Gegenständen
der Erfahrungen in einer Entwicklung, die im Monotheismus zu einem ersten
Abschluss gelangte. Die Abrahamitischen Religionen verehrten ein einziges höchstes
Wesen, das, obwohl über der natürlichen Welt stehend, Ursache all dessen war, was
darin geschah. Der Monotheismus setzt den besonderen Mythos einer
Urvollkommenheit in die Welt, aus der die Menschheit verbannt worden war, weil die
Vorstellung eines einzigen Gottes mit, der eines schon vor der Welt existierenden
Schöpfers einherging, der an deren Unvollkommenheiten keinen Anteil hatte. Keine
andere religiöse Konzeption – sicher nicht das Heidentum oder irgendeine
Ausprägung des Pantheismus – hat ein solches Gefühl tragischer Entfremdung des
Menschlichen vom Göttlichen hervorgebracht. Die monotheistische Theologie
verbannte die Götter aus der Natur: Menschen waren auf sich gestellt und allein für
ihre moralischen Entscheidungen verantwortlich.
Ein Großteil der abendländischen Philosophie beschäftigte sich mit dem Versuch,
die Verbindung zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen, die der
Monotheismus beschädigt und die Wissenschaft am Ende durchtrennt hatte,
wiederherzustellen. Die meisten von uns betrachten sich selbst als völlig
erdgebunden. Wir streben nicht zum Göttlichen hin, weil wir uns als Teil derselben
Substanz fühlen. Eine Minderheit von Wissenschaftlern, Philosophen und
Technikexperten ist inzwischen allerdings davon überzeugt, dass Wissenschaft einen
anderen Weg in den Himmel eröffnen könnte – indem sie die Geheimnisse des
Gehirns erforscht und uns in die Lage versetzt, einen künstlichen Geist aus rein
materiellen Substanzen zu konstruieren. Dann könnten wir womöglich einen Gott
erschaffen, anstatt uns lediglich einen vorzustellen. Aber könnte unser selbst
erschaffener Gott uns dann auch eher zu einem besseren Verhalten bewegen, als es
uns selbst bislang gelungen ist?
In „Die Der vollkommene Mensch“ unterschied John Passmore zwischen
„technischer“ und „menschlicher Vollkommenheit“. Ein perfekter Verbrecher ist einer,
der nie gefasst wird, aber dies macht ihn keineswegs zu einem vollkommenen
Menschen. „Menschsein“, so hebt Passmore hervor, „ist kein Beruf“, und die
Definition einer perfekten Gesellschaft könne auch nicht lauten, dass sie „ihre soziale
Aufgabe vollkommen“ erfülle. Sie „hat keine sozialen Aufgaben, sondern stellt soziale
Aufgabe“. Passmore traf eine wesentliche Unterscheidung zwischen moralischer
Vollkommenheit und Optimierung. Mit dem Aufkommen von Carlyles
„mechanistischem Weltbild wurde gesellschaftliche Vollkommenheit zunehmend als
die Perfektionierung von Aufgaben, also als instrumentelle Effizienz definiert. Die
Frage, welche Aufgaben ihre Perfektionierung wert sind oder ob es Wege gibt, sie
weniger effizient, aber humaner zu erfüllen – die moralische Frage – wurde
weitgehend beiseitegeschoben.“
Quelle: Skidelsky, Robert (2024): Werden wir ersetzt? Vom Fortschrittswahn zu einer Ökonomie des
gerechten Lebens, Verlag Kunstmann, München, S. 168-171.
// Der Kampf um die Wahrheit
Ein Großteil der heutigen Diskussion dreht sich um Möglichkeiten, die Verbreitung von
„Falschnachrichten“ oder „Hassbotschaften“ einzudämmen. Manche würden es den
Plattformen selbst überlassen, besorgniserregende Inhalte zu löschen – durch eine
Form von Selbstzensur. Andere wünschen sich vom Staat, bestimmte Inhalte zu
verbieten. Beide Ansätze stoßen auf das Problem, dass es zunehmend schwierig
geworden ist, zwischen „Fake News“ und echten Nachrichten zu unterscheiden – und
ebenso zwischen hitziger Debatte und beleidigenden oder „verantwortungslosen“
Äußerungen angesichts der zunehmenden „Entzivilisierung“ der Sprache. Jeder und
jede hat eine eigene Geschichte zu erzählen und behauptet von denen, die eine andere
erzählen, beleidigt oder traumatisiert zu werden. […] Bis Wahrheit von Lüge getrennt
wurde, ist der Fokus der Berichtserstattung weitergewandert, wobei gerade die Lüge
im Umlauf bleibt. In der Vergangenheit agierten die seriösesten Sendeanstalten,
Zeitungen und Zeitschriften als „Gatekeeper“. Aber inzwischen schöpfen sie vermehrt
selbst aus sozialen Medien. Menschliche Journalisten sind zu teuer geworden. Auch
ist immer schwerer erkennbar, wie ein Aussiebverfahren heute noch möglich ist. Gab
es in der Vergangenheit die Wahrheit Gottes und später die der Wissenschaft, so ist
jetzt die Wahrheit irgendjemandes Wahrheit: Ich fühle, also bin ich. Die Mahnung zur
Faktentreue hilft kaum weiter. Fakten sprechen nie für sich. Als ein Ergebnis
grassieren Verschwörungserzählungen, weil kaum mehr überprüft wird, was man
glauben darf.
Frankensteins Monster regulieren
[…] Auf welcher Grundlage ist schlechte von guter Technologie unterscheidbar? Wir
versuchen hasserfüllten, verletzenden, wahrheitswidrigen und aufhetzenden
Äußerungen in den sozialen Medien Einhalt zu gebieten, aber wie sind diese Begriffe
zu definieren und durch wen? Die Welt des Werterelativismus bietet wenig Anleitung.
Und während vielleicht die Wissenschaft darauf hoffen kann, sich in der eigenen
Sphäre über richtig und falsch zu äußern, sind die Kategorien in Politik oder Kunst
deutlich schwieriger auseinander zu halten, weil das, was für die eine Person eine
Lüge ist, für die andere die Wahrheit bedeutet. Die großen Tech-Konzerne bevorzugen
die Selbstregulierung. Aber sie sind wohl kaum wohltätige Organisationen ohne
Eigeninteresse. Setzt man dagegen auf staatliche Regulierung, wirft dies zwei
offenkundige Fragen auf. Erstens hat der Staat selbst raue Mengen an „schlechter“
Technologie hervorgebracht. Und zweitens: Wer soll den Staat regulieren? […]
Die Lösung, die sozialen Medien unter öffentliche Aufsicht zu stellen, versagt
folglich aus zwei Gründen. Der erste ist die Praktikabilität. Der Staat bewegt sich
zwangsläufig langsamer als der Privatsektor. Der Markt reagiert auf das natürliche
menschliche Verhalten effizienter als jedes andere Führungssystem. Facebooks
inzwischen anrüchig gewordenes Motto – move fast, and break things („beweg dich
schnell und zertrümmere Dinge“) – bringt diese Einstellung vollendet zum Ausdruck:
Die Privatwirtschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass sie mit uneinholbarer
Geschwindigkeit reagiert und Brüche vollzeiht, während sich der staatliche Sektor
durch bürokratische Abläufe kämpft und nur im Schneckentempo vorwärtskommt.
Dadurch lahmt der Gesetzgeber bei der Regulierung den sogenannten Innovationen
im Privatsektor immer hinterher.
Der zweite, grundlegendere Einwand liegt in der Natur dieses Eigentums: Es lässt
sich faktisch kein Markt darauf aufbauen. Der Informationsfluss braucht Kontrolle. Sie
kann entweder dadurch die Technokratie selbst oder durch das moralische Empfinden
der Gemeinschaft ausgeübt werden.
Quelle: Skidelsky, Robert (2024): Werden wir ersetzt? Vom Fortschrittswahn zu einer Ökonomie des
gerechten Lebens, Verlag Kunstmann, München, S. 336ff.
myUtopiA von Kathia von Roth
// Potentialentfaltung durch kooperative Vielfalt
Kooperation unterschiedlicher Menschen ist ein Leitgedanke des
Neurowissenschaftlers Professor Gerald Hüther. In seinem Buch „Etwas mehr
Hirn, bitte“ beschreibt er Wege zu gemeinsamem Handeln und vermittelt dabei
folgende grundlegenden Erkenntnisse:
Unser Gehirn dient mit all seinen neuronalen Prozessen dazu, unsere
Potentiale zu entfalten. Das klingt erst einmal beruhigend. Es ist jedoch der
Einstieg in die Welt der Widersprüche, Spannungsfelder und Weggabelungen.
Kein Gehirn arbeitet allein. Es ist ständig mit anderen Gehirnen verbunden, die
untereinander wechselwirken. Kein lebendes System existiert für sich allein. Es
ist immer mit anderen Lebensformen verbunden und kann nur inmitten von
anderen leben und sich weiterentwickeln. Die Folge ist: Niemand kann sein
Potentiale allein entfalten. Jeder Mensch braucht dazu immer die Beziehung zu
anderen.
Potentialentfaltung entsteht nicht durch Wettbewerb. Wettbewerb führt
zu Spezialisierung und verbesserter Nutzung vorhandener Ressourcen. Etwas
wirklich Neues kann so nicht entstehen. Potentialentfaltung wird erst durch
Kooperation möglich, insbesondere mit vielfältigen Beteiligten. Hüther sagt das
so: „Die einzige Strategie, die ein fortwährende, ungehinderte und ungestörte
Entfaltung der in einem lebenden System angelegten Potentiale ermöglicht, ist
die ständige Abstimmung und Rejustierung der innerhalb eines lebenden
Systems etablierten Beziehungsmuster an die Erfordernisse, die sich aus einer
möglichst engen und möglichst vielfältigen Beziehung der betreffenden
Lebensform mit möglichst vielen und möglichst verschiedenartigen anderen
Lebensformen ergeben.“ Der Erfolg des Menschen liegt also in seiner
kollektiven Vielfalt.
Quelle: Jork, Manuel (2019): Artgerechte Haltung von Menschen, 2. Auflage, Verlag BoD Norderstedt,
S. 80-82.