Ein Schaf fürs Leben
nach dem gleichnamigen Bilderbuch von Maritgen Matter / ab 3 Jahren
im Theatertreff
In einer Inszenierung von Paulina Neukampf
am 07. September 2023 zeigen wir um 11 Uhr mit dem Kinderstück „Ein Schaf fürs Leben“ die erste jott-Premiere der neuen Saison 2023/24.
In einer kalten Winternacht stapft ein hungriger Wolf einsam durch den Schnee. Als er auf ein argloses Schaf trifft, kann er es zu einer gemeinsamen Schlittenfahrt überreden – mit einer klaren Absicht: Er will das Schaf fressen! Doch der Ausflug gerät zu einer lustigen und wunderbaren Reise durch die Nacht. Und nimmt schließlich eine überraschende Wendung. Maritgen Matter (*1962) erzählt in ihrem Theaterstück von einer auf den ersten Blick unmöglichen Freundschaft. Sie zeigt, wie erfüllend es ist, Verantwortung zu übernehmen für jemanden, der auf den ersten Blick völlig fremd erscheint.
EIN SCHAF FÜRS LEBEN
von Maritgen Matter (Text) und Anke Faust (Illustration)
Aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt von Sylke Hachmeister
2002 erschienen im Verlag Friedrich Oetinger
Ein Stück für alle ab 3 Jahren
im Theatertreff & mobil
FOTO Meinschäfer Fotografie
Premiere Donnerstag, 07.09.2023 / 11:00 Uhr im Theatertreff
Dauer: ca. 30 Minuten, keine Pause
Aufführungsrechte Verlag für Kindertheater Weitendorf, Hamburg
Schaf Lukas Koller
Wolf Julia Katharina Braun
Erzählerin Marsha Maria Miessner
Regie Paulina Neukampf / Bühne & Kostüme Paulina Neukampf / Musik Benedikt Becker / Dramaturgie Myriam Pechan / Regieassistenz Djuna Maria van den Broek & Milena Gehrke / Regiehospitanz Tanja Neufeld / Technischer Leiter Klaus Herrmann / Bühnenmeister Michael Bröckling / Beleuchtungsmeister Marcus Krömer / Einrichtung & Programmierung Licht Viviane Wiegers & Laurin Steinhoff / Betreuung Ton & Licht Juri Zitzer / Requisite Annette Seidel-Rohlf & Sona Ahmadnia / Leitung Kostümabteilung Claudia Schinke / Maske Ulla Bohnebeck
Anfertigung der Kostüme und Dekorationen in den Werkstätten des Theater Paderborn.
In einer kalten Winternacht stapft ein hungriger Wolf einsam durch den Schnee. Als er auf ein argloses Schaf trifft, kann er es zu einer gemeinsamen Schlittenfahrt überreden – mit einer klaren Absicht: Er will das Schaf fressen! Doch der Ausflug gerät zu einer lustigen und wunderbaren Reise durch die Nacht. Und nimmt schließlich eine überraschende Wendung.
Maritgen Matter, geboren 1962, studierte nach einer Lehrerausbildung Kunst und Design in Amsterdam. Sie arbeitete als freie Illustratorin und Gestalterin für verschiedene Verlage. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie auch zu schreiben. „Ein Schaf fürs Leben“ ist ihr Debüt.
Anke Faust, 1971 in Nordrhein-Westfalen geboren, studierte Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Illustration an der Fachhochschule Mainz und arbeitet seit 1996 als Illustratorin für Kinder- und Schulbuchverlage.
Quelle: https://www.jugendliteratur.org/buch/ein-schaf-fuers-leben-2938
Zuletzt besucht: 23.08.2023.
Auszeichnungen
„Ein Schaf fürs Leben“ wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem niederländischen „Silbernen Griffel“, mit der „Eule des Monats“ vom Bulletin Jugend und Literatur, dem Kinderbuchpreis des Landes Nordrhein-Westfalen und mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2004.
Jury-Begründung Arbeitskreis Jugendliteratur e.V. 2004
Ein hungriger Wolf überredet ein unbedarftes Provinzschaf zu einem Ausflug, um es fernab von Zeugen zu verspeisen – er will die Sache „mit Stil angehen“. Wolf verspricht eine nächtliche Reise ins elegante „Erfahrungen“, und Schaf ist begeistert. Das Winter-Road-Movie entwickelt sich zu einer aufregenden und charmanten Beziehungsgeschichte, in deren Verlauf Schaf Wolf sogar das Leben rettet. Auch Wolf findet Schaf einfach „famos“, wäre da nur nicht sein unsäglicher Hunger. Er löst den Konflikt, indem er das arglose Schaf unter einem Vorwand fortschickt.
Maritgen Matter spielt mit den Erwartungen an ihr Sujet, überrascht mit verblüffenden Wendungen und lässt die Protagonisten aus ihren angestammten Rollen fallen. Anrührend und packend erzählt sie, mit flotten, doppelbödig-scharfzüngigen Dialogen, bei denen Gesagtes und Gemeintes deutlich auseinanderdriften. Temperamentvoll ist das Layout mit den originellen, häufig collagierten Zeichnungen von Anke Faust, die eine subtile Textbeziehung schaffen.
Quelle: https://www.jugendliteratur.org/buch/ein-schaf-fuers-leben-2938
Zuletzt besucht: 23.08.2023.
Vom Wandel eines Topos
Der Wolf hat als Symbol für Bedrohung und Gefahr in unserer Kultur eine lange Tradition (vgl. Lexikon der Symbole 1993, 184). Kinder begegnen ihm vor allem in Märchen, und es verwundert nicht, dass selbst die Kleinsten schon sehr genau ausdrücken können, dass sie vor dem „bösen Wolf“ Angst haben. Auch der aktuelle Kinderbuchmarkt nimmt sich dieses Topos an, allerdings, wie die folgenden exemplarisch ausgewählten Beispiele belegen, in ganz anderer Art und Weise als erwartet…
Das Spiel mit dem Bekannten
In dem kleinformatigen Bilderbuch „Ein Schaf fürs Leben“ von Maritgen Matter (Text) und Anke Faust (Bild) treibt es einen hungrigen Wolf in einer bitterkalten Nacht durch den Wald. Schließlich stößt er auf ein kleines Haus, in dem ein Schaf wohnt. Arglos oder naiv bietet das Schaf dem Wolf verschiedene Dinge zum Essen an: Heu, Hafer, altes Brot. Der Wolf jedoch hat nur auf das Schaf Appetit. Um es fernab von Zeugen verspeisen zu können, verspricht der Wolf „eine nächtliche Reise ins elegante ‚Erfahrungen‘ und Schaf ist begeistert. Das Winter-Road-Movie entwickelt sich“, so die Jurybegründung für die Auszeichnung des Buches mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2004/Sparte Kinderbuch, „zu einer aufregenden und charmanten Beziehungsgeschichte, in deren Verlauf Schaf Wolf sogar das Leben rettet. Auch Wolf findet Schaf einfach ‚famos‘, wäre da nur nicht sein unsäglicher Hunger. Er löst den Konflikt, in dem er das arglose Schaf unter einem Vorwand fortschickt.“ […]
Die besondere Spannung der Geschichte erwächst aus einem Spiel mit dem Bekannten, denn aus seiner Erfahrung weiß der Leser/Betrachter des Buches, dass von einem hungrigen Wolf eine potenzielle Gefahr ausgeht. Folglich scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, dass das Schaf gefressen wird. Aber: das Erwartete tritt nicht ein. […]
Die Bilder greifen die Dynamik und Komik der Geschichte auf. Die überzeichneten Fotocollagen, die auf den Buchseiten ganz verschiedene Perspektiven und Ausschnitte vereinen, ergänzen und erweitern den Text. Bild und Text verstehen es, mit ihren ganz spezifischen Mitteln dem Spiel mit stereotypen Vorstellungen über unsere Erwartungen an den Topos vom „bösen Wolf“ Ausdruck zu verleihen. Dieses Spiel gewinnt seinen Reiz, weil in der Geschichte intertextuell Bezüge zu anderen Genres (Märchen) oder Topoi (böser Wolf/liebes Schaf) angelegt sind.
Quelle: AUSZUG aus Claudia Blei-Hoch, „Wer hat noch Angst vorm bösen Wolf? (Post-) Moderne Bilderbücher für den Unterricht“, in: Grundschulunterricht 2005, 3-6.
In „Schaf fürs Leben“, dem zweiten Beispiel, das ich hier ausführen möchte, werden sowohl Möglichkeiten und Grenzen von Freundschaft hinterfragt, als auch die Möglichkeiten, die durch Freundschaft geöffnet, sowie die Grenzen, die durch sie gezogen werden, anhand einer Dilemmageschichte aufgezeigt: Da Wolf den Unterschied zwischen Instinkt (er will Schaf fressen, weil er riesigen Hunger hat) und Moral (er ist um Schafs Leben bemüht, weil ihm Schaf wertvoll geworden ist) als unausweichliches Dilemma erkennt, Schaf jedoch nicht, ergibt sich ein Spannungsbogen zwischen Fressen und Überleben, konkreter – auf das hier behandelte Thema bezogen – formuliert: zwischen Feind- und Freundschaft. Von zentraler Bedeutung für die Geschichte ist die Tatsache, dass Schaf und Wolf zwei sehr – und das ist vielleicht noch untertrieben ausgedrückt – ungleiche Partner sind, was sich schon in der Auswahl der zwei Tierarten äußert. Die Überlegenheit des einen Partners, nämlich Wolf, besteht nicht nur darin, dass er als natürlicher Feind von Schafen in der Lage ist Schaf zu fressen (und demnach Macht über Schafs Existenz besitzt). Matter spielt überdies mit dem Motiv, welches Schafe mit Dummheit behaftet. Demzufolge sind Schaf und Wolf außerdem von unterschiedlichem Intellekt. Dies bedeutet, dass es für Wolf ungemein einfach sein sollte sich Schaf zur Beute zu machen. Denn selbst die vielen kleinen Anspielungen auf das, was er vorhat, scheint Schaf nicht zu durchschauen. SchafundWolf können noch auf einer anderen Ebene (welche aber mit vorhin genannten Aspekten zusammenhängt) als ungleiche Partner angesehen werden: Die Motive ihrer Freundschaft sind ganz anderer Art – ich greife hier nur entfernt auf Aristoteles Unterscheidung zwischen drei Arten von Freundschaft zurück. Wolf täuscht anfangs Freundlichkeit und Wohlwollen vor, weil er auf diese Weise Schafs Argwohn am einfachsten fernhalten kann.
“Nein, das ist alles. Magst du kein Heu?“, fragte Schaf.
“Ich fürchte nein“, sagte Wolf.
“Dann hast du auch keinen richtigen Hunger“, sagte Schaf.
“Ich fürchte doch“, sagte Wolf.
Und da schwang er sich plötzlich über das Gatter und plumpste direkt neben Schaf ins Stroh.
„He, was soll das?“, rief Schaf. „Das ist mein Bett! Ich rufe Esel und Hund und…“
„Regen Sie sich doch nicht auf“, lispelte Wolf. „Ich möchte Ihnen nur ein bisschen Gesellschaft leisten.” (S. 11-12)
Weil er merkt, dass Schaf ihn mag, lässt er sich auf ein Spielchen ein, tut, als ob er Schafs Freund ist und treibt somit die Befreundung, in der nur Nutzen das Motiv ist, auf ihren karikaturalen Höhepunkt: Wolf ‚liebt‘ Schaf nur soweit er ‚etwas‘ – Schafs Leben! – von ihm haben kann. Schaf dagegen geht es um vollkommene Freundschaft, denn er schätzt Wolf, der Befreundete, weil er der ist, der er leider nicht ist, sondern vortäuscht zu sein. […]
Freundschaft wird in „Schaf fürs Leben“ nicht idealisiert. Die Geschichte zeigt, dass Freundschaft überall „entflammen“ kann, wo Subjekte sich begegnen. Sie kann weder erzwungen noch verboten werden und gegen den sozialen Zusammenhang existieren. Dies bedeutet aber zugleich, dass sie sehr schwierig sein kann und viel Verantwortung von den Partnern verlangt. In „Schaf fürs Leben“ wird dies meines Erachtens so ausgedrückt, dass man manchmal loslassen muss, was man sehr liebt, um so Liebe und Freundschaft zu erhalten, um sie also in dem Loslassen zurückzugewinnen.
Quelle: AUSZUG aus Dominique Gillebeert, „Freundschaft“, in: Die Moral der Geschicht‘ – gibt es nicht. Über die ethischen und moralischen Themen in der Kinderliteratur und wie Kinder über diese denken, Darmstadt 2007. S. 74-79.
„Schaf fürs Leben“ wurde schon ziemlich eingehend im Kapitel über die Freundschaft besprochen. „Schaf fürs Leben“ ist jedoch nicht nur eine Geschichte über Freundschaft, sie erzählt an erster Stelle auch über eine Begegnung mit dem Anderen, ganz Anderen, mit dem Fremden. Anders als in vielen anderen Kinderbüchern wird das Fremde, der Andere hier überhaupt nicht als Außenseiter, als Gast, etc. dargestellt, sondern, so könnte man sagen, in dem Buch „Schaf fürs Leben“ wird das Fremde in der Formel „Herausforderung angesichts des Anderen“ aufgenommen und gelangt so zu Pointierung der Verantwortung des einen für den Anderen. Wie aus dem vorhergehenden Satz schon deutlich geworden sein mag, enthält „Schaf fürs Leben“ viele Anhaltspunkte, die es nahe legen, die Geschichte in Bezug auf den Anderen in Anlehnung von Levinas zu lesen und zu kommentieren.
In der Geschichte wird Schaf als Andere für Wolf, und Wolf als Andere für Schaf dargestellt, – ohne allerdings Reziprozität und Symmetrie mit einzubringen. Beide sind füreinander anders, fremd. Wolf begegnet Schaf während der Schlittenfahrt und nachher bei sich zu Hause als einem singulären Anderen, der sich selbst nicht verliert in einer Horde oder Truppe von Anderen. Und so ist auch Wolf auf dieselbe Weise ein singulärer Anderer für Schaf. Dabei erfahren wir die Geschichte sowohl aus der Perspektive von Wolf als auch von Schaf.
Die Bleibe, das Haus, der Genuss. Das Bild vom Haus, vom Zuhause, von der geselligen Bleibe spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte „Schaf fürs Leben“. Sowohl das Zuhause von Wolf als auch von Schaf wird als gemütlich und warm umschrieben (wird auch in den Bildern gezeigt), wo Schaf und Wolf die sich zufließende Welt genießen, wo sie sich in Vertrautem und Annehmlichem befinden und wohin sie sich immer wieder flüchten können. […]
Jenseits Von-Angesicht-zu-Angesicht. Dem Anderen wertschätzend als dem ganz Anderen zu begegnen, indem man den Anderen nicht als Objekt seines Wissens und Denkens erschließt, indem man ihn nicht in seine Wahrnehmung und Weltsicht einträgt, indem man nicht durch Aneignung und Assimilierung an seiner Alterität vorbeigeht, impliziert aber auch, darauf weist die Geschichte deutlich hin, dass die soziale Beziehung Gemeinsamkeiten und Übereinkünfte schafft. Die Schlittenfahrt und das Seilchen-springen, sowie der kurze Verbleib bei Wolf, stellen in der Geschichte Gemeinsamkeiten dar, die ein Zwischen uns der Beziehung von Schaf und Wolf ermöglichen. Sie stellen Wechselseitigkeit her, die man aber nicht in einem Sinn versammeln und vereinheitlichen kann. Die Geschichte bringt zum Ausdruck, dass jenseits des Von-Angesicht-zu-Angesicht ebenfalls Genuss möglich ist, Genuss des Andern jenseits der Möglichkeit der Gewalt und des Mordes, deren man im Von-Angesicht-zu-Angesicht gewärtig wird. In „Schaf fürs Leben“ wird das Jenseits des Von-Angesicht-zu-Angesicht auf zwei Seiten dargestellt, als Schaf und Wolf bei Wolf zu Hause im Bett liegen, nachdem Wolf Schaf gebeten hat, bevor er wach wird, so weit wie möglich weg zu gehen.
Wolf tastete nach der Decke. „Was ist das?“, fragte er in die Dunkelheit.
„Mein Ohr“, sagte Schaf.
„Das ist aber weich“, sagte Wolf.
„Ja“, sagte Schaf. „Willst du es festhalten?
„Ja“, flüsterte Wolf. Er hielt das weiche Fellstückchen an seine Nase. „Gute Nacht. “
„Gute Nacht „, sagte Schaf.
(S. 58-59)
Der Leib vom Schaf wird vom Leib des Wolfs her neu und überraschend, anders erlebt, als Schaf es je selbst erleben kann. (Das Liebkosen und kuscheln wird im Buch nicht erotisch, sondern freundschaftlich aufgefasst.) Freundschaft, so zeigt die Geschichte, kann einen ethischen Mikrokosmos bilden. Schaf und Wolf können einander als Freunde genießen, in dem Anspruch, dass sie den Anderen auch uneigennützig, d.h. unabhängig von ihren Wünschen und Bedürfnissen wahrnehmen können. Freundschaft beinhaltet ein erstaunliches Versprechen, nämlich dass Freundschaft, das gute Leben und ethische Nicht-Indifferenz Hand in Hand gehen können.
Quelle: AUSZUG aus Dominique Gillebeert, „Ander(s)heit, Fremdheit“, in: Die Moral der Geschicht‘ – gibt es nicht. Über die ethischen und moralischen Themen in der Kinderliteratur und wie Kinder über diese denken, Darmstadt 2007. S. 133-134; 139-140.