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Ausstellungsdaten
Dauer 7. März – 9. Juni 2025
Eröffnung 6. März | 18.30 Uhr
Ausstellungsort Propter Homines Halle | ALBERTINA
Kuratoren Achim Gnann und Christof Metzger
Assistenzkuratorin Margherita Clavarino Allerberger
Werke 146
Katalog Erhältlich im Shop der ALBERTINA sowie unter https://shop.albertina.at/ (Deutsch | Englisch | EUR 39,90)
Kontakt Albertinaplatz 1 | 1010 Wien
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Leonardo – Dürer
Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund
Die ALBERTINA widmet ihre Frühjahrsausstellung 2025 den bedeutendsten Meistern der Zeichenkunst. Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund ist die große Antritts-Ausstellung des Generaldirektors Ralph Gleis und zugleich die weltweit erste detaillierte Museumsschau auf dem Gebiet: und das mit der bisher umfassendsten Präsentation Leonardos im deutschsprachigen Raum. Aus kunsthistorischer Perspektive ist die Ausstellung ebenso eine Premiere: das Thema wird bahnbrechend Regionen übergreifend zwischen Italien und dem Norden betrachtet.
„Mit dieser Ausstellung verweisen wir auf die großartige grafische Sammlung und die Tradition der ALBERTINA, sie hat somit programmatischen Charakter. Die Renaissance war eine Zeit des Aufbruchs – auch in der Zeichenkunst. Die Ausstellung beleuchtet die Entwicklung der Technik des Hell-Dunkel-Zeichnens auf farbigem Papier – einer Kunst, die mit Leonardo im Süden ihren Höhepunkt fand und die Dürer nördlich der Alpen mit ikonischen Werken wie den Betenden Händen zu größtmöglicher Perfektion führte. In der Renaissance kam Künstlern der Gedanke, Papier zu grundieren oder bereits gefärbtes Papier zu verwenden, um auf diese Weise mit Virtuosität ins Dunkle, aber auch ins Helle zu arbeiten. So erschlossen sich den Künstlern und ihrem Publikum ganz neue plastische Möglichkeiten und ästhetische Erfahrungen, wie wir in dieser beachtlichen Zusammenstellung von knapp 150 Werken zeigen“, so ALBERTINA-Generaldirektor Ralph Gleis.
Mit hochkarätigen Arbeiten aus dem eigenen Bestand sowie bedeutenden internationalen Leihgaben des Royal Collection Trust Windsor Castle, dem Louvre, dem Metropolitan Museum New York, den Uffizien in Florenz, dem Kupferstichkabinett Berlin, dem British Museum und zahlreichen weiteren internationalen Sammlungen bietet die Ausstellung eine einzigartige Gelegenheit, diese virtuose Technik zu entdecken.
Kunsthistorische Einblicke: Die Entwicklung in Italien und im Norden
Erstmals wird die Entwicklung in Italien und im Norden im wechselseitigen Zusammenhang gesehen: Spielten Zeichnungen auf farbigem Papier in Italien eher ihre Rolle als Skizzen und Studien im künstlerischen Werkprozess, so wurden sie nördlich der Alpen als eigenständige Kunstwerke en miniature geschätzt. Insbesondere im deutschsprachigen Raum wurden Zeichnungen auf farbigem Grund für detailreiche Darstellungen religiöser oder mythologischer Themen genutzt.
„In Italien wird die Hell-Dunkel-Technik bereits seit dem frühen 14. Jahrhundert verwendet: vornehmlich benutzten die Künstler farbig präparierte Zeichnungen für Figurenstudien und bereiteten damit ihre Gemälde vor. Die Ausstellung stellt die Entwicklung der Farbgrundzeichnung chronologisch dar, untersucht den Gebrauch farbig grundierter Zeichnungen bei einzelnen Künstlern und arbeitet auch Bezüge zur damaligen Druckgrafik heraus“, so Kurator Achim Gnann.
War der Chiaroscuro-Zeichnung (Hell-Dunkel-Zeichnung) in Italien ihr fester Platz im Werkprozess zugewiesen, so wurde sie im deutschen Sprachraum seit dem mittleren 15. Jahrhundert für delikate szenische Darstellungen bevorzugt: „Im Gegensatz zu Italien handelt es sich vor Dürer nie um Entwurfszeichnungen, sondern um kostbare Schau- und Sammlerstücke. Herausragende Beispiele dafür bieten Albrecht Altdorfers furiose Darstellungen aus christlicher und heidnischer Gedankenwelt oder die berühmten Hexenblätter von Hans Baldung Grien. Allein die vielen Sujets aus Geschichte, Mythologie, Religion und auch Volksglauben demonstrieren, dass die Künstler auf die Begehrlichkeiten einer neuen, gebildeten Kundenschicht abzielten“, so Kurator Christof Metzger.
Ausgangspunkt: Grafische Sammlung
Erstmals treffen in dieser Ausstellung 26 Zeichnungen Albrecht Dürers auf ebenso viele Werke von Leonardo da Vinci. Neben den Arbeiten von Leonardo und Dürer präsentiert die Ausstellung hochkarätige Blätter von Raffael, Tizian, Albrecht Altdorfer, Hans Baldung Grien, Hans Holbein d. Ä. und weiteren herausragenden Meistern der Renaissance. Ausgangspunkt der umfangreichen Schau ist die eigene Sammlung: Rund zwei Drittel der gezeigten Meisterwerke stammen aus der ALBERTINA.
Meisterzeichnungen wie Leonardos Apostel oder Dürers Betende Hände ebneten der Anerkennung der Zeichenkunst als eine der Malerei ebenbürtige Kunstgattung den Weg und zählen bis heute zu den berühmtesten Werken der Renaissance und den Herzstücken der grafischen Sammlung der ALBERTINA.
Die erste Kinder-Vernissage der Albertina
Im Zuge der Ausstellung lädt die ALBERTINA erstmals zu einer Vernissage eigens für Kinder: „Im Sinne unseres Mottos der ‚Albertina für alle‘ möchten wir uns speziell an unsere jüngsten Besucherinnen und Besucher wenden. Die Kinder-Vernissage ist bewusst zeitlich vor der Publikumseröffnung angesetzt und folgt unserem Leitsatz ‚Kids first!‘. Damit möchten wir verdeutlichen wie wichtig uns die Jüngsten sind, die wir mit diesem speziellen Event für das Museum und die Kunst begeistern möchten. Die Begrüßung findet sehr anschaulich direkt in der Ausstellung statt, die anschließenden Führungen sind interaktiv und auf die Kinder zugeschnitten.“, so ALBERTINA-Generaldirektor Ralph Gleis.
Durch digitale Formate, spannende Inhalte und Interaktion mit dem Publikum soll ein Museumsbesuch mehr sein, als nur Frontalunterricht auf Wänden. Neben der Kinder-Vernissage bietet die ALBERTINA zur Ausstellung ein abwechslungsreiches Vermittlungsprogramm mit öffentlichen und barrierefreien Führungen, Juniorführungen, Kinder-Workshops und Aktzeichen-Workshops.
Ausstellungstexte
Einleitung
Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund
Im Zentrum dieser Ausstellung stehen Meisterzeichnungen von Leonardo da Vinci (1452–1519) und Albrecht Dürer (1471–1528), den beiden genialen Neuerern der Renaissancemalerei südlich und nördlich der Alpen. Leonardo hat für seine Studien häufig ein farbig präpariertes Papier verwendet, und auch Dürer zeichnete seine Motive gerne auf einem blauen bzw. blaugrünen Grund. Die Farbe bildet dabei einen Mittelton, von der aus ins Helle und ins Dunkle gearbeitet werden kann. Auf diese Weise lassen sich durch Aufhöhung mit Glanzlichtern und Abtönung mit Metallstift, Feder, Pinsel oder Kreiden reiche tonale Abstufungen erzielen. Die Technik, Papier und Pergament mit einem Gemisch aus Knochenpulver, Leim- oder Gummiwasser zu grundieren und dem dünnflüssigen Brei Farbe in Pulverform beizumischen, war in Italien bereits im frühen 14. Jahrhundert in Gebrauch und ist um 1380 auch im Norden nachweisbar. Im Übrigen war für das Zeichnen mit dem Silberstift und anderen Metallstiften eine Präparierung des Untergrunds unerlässlich, da sich der Strich auf einer glatten Papierfläche nicht abreibt. Neben den Blättern mit farbiger Grundierung griffen die Künstler auch zu den bereits beim Herstellungsprozess eingefärbten Natur- oder Tonpapieren, unter denen das blaue, die carta azzurra, zuerst auftritt.
Zeichnungen auf farbigem Grund werden in der italienischen Terminologie der Zeit Chiaroscuri genannt. Der Begriff umfasst aber auch monochrome, rein in Hell-Dunkel-Abstufungen wiedergegebene Darstellungen, weshalb in der Ausstellung einige der Leonardo zugeschriebenen grautonigen Draperiestudien gezeigt werden. Chiaroscuri werden ferner Holzschnitte genannt, die mit einer oder mehreren ergänzenden Farbplatten gedruckt sind und die ursprünglich das Aussehen farbiger Hell-Dunkel-Zeichnungen nachzuahmen suchten.
Mit dieser Präsentation einiger der schönsten Farbgrundzeichnungen von Leonardo, Dürer und vielen anderen Künstlern bietet die Ausstellung die Gelegenheit, die Entwicklung dieser faszinierenden Technik bis zum Ausgang der Hochrenaissance mitzuerleben.
Zeichnen mit Licht und Schatten
Das Zeichnen auf farbigen Untergründen wurde erstmals von Cennino Cennini (um 1370 – vor 1427) in seinem Libro dell’arte, einem Lehrbuch zur künstlerischen Praxis, beschrieben. Er charakterisiert die Technik hier als „porta“, als Tor zur Malerei. Denn das kontrastreiche Zeichnen auf farbigen Untergründen eigne sich insbesondere zum Studium des „rilievo“, des Eindrucks von Dreidimensionalität, und von Licht und Schattenwirkungen, des Chiaroscuro. Darüber hinaus schule die Hell-Dunkel-Zeichnung den angehenden Künstler gerade aufgrund der reduzierten Farbpalette im Umgang mit den Farben. Der Maler musste also alles Darstellbare auf konträre Lichtverhältnisse reduzieren und mit sehr wenigen Tongraden arbeiten: vom Mittelton des Papiers aus ins Dunkle wie ins Helle, um die plastische Modellierung zu erreichen. Hell-Dunkel-Blätter in Italien bereiten daher fast ausnahmslos Gemälde vor. Nördlich der Alpen scheint die Hell-Dunkel-Zeichnung aber eher selten als ein Mittel zum Zweck im Prozess der Bildgenese eingesetzt worden zu sein. Hier wurde bildmäßig abgeschlossenen Werken der Vorzug gegeben, die als Gemälde en miniature für einen allmählich sich etablierenden Sammlermarkt geschaffen wurden.
Gewandstudien in Helldunkel
Die hier ausgestellten Zeichnungen gehören zu einer Gruppe von Gewandstudien, die in einer außergewöhnlichen Technik mit Pinsel und Temperafarbe auf einer grau grundierten Leinwand ausgeführt sind. Die Faltenpartien sind mit subtil abgestuften grauen Tönen herausmodelliert und mit Weiß aufgehöht, wodurch die kunstvoll angeordnete Draperie durch ein kontrastreiches Hell-Dunkel hervortritt. Der Architekt, Maler und Verfasser von Künstlerbiografien Giorgio Vasari schreibt in seiner Vita Leonardos: „Bisweilen formte er Modelle verschiedener Figuren in Erde, legte darüber weiche Lappen in Gips getaucht, und bemühte sich mit äußerster Geduld, sie auf ganz feine oder schon gebrauchte Leinwand nachzuzeichnen, indem er sie schwarz und weiß mit der Spitze des Pinsels bewunderungswürdig schön ausführte, wie noch jetzt einige davon beweisen, die sich in unserem Zeichnungsbuch finden.“ Die Leonardo zugeschriebenen Studien sind jedoch stilistisch uneinheitlich, und zudem führten in dieser Zeit auch andere Künstler Hell-Dunkel-Studien auf Leinwand aus, wie Domenico Ghirlandaios Entwurf für den Evangelisten Matthäus im Gewölbe der Kapelle der hl. Fina in San Gimignano zeigt.
Leonardos Farbgrundzeichnungen in Florenz und Mailand
Leonardo wählte in seiner Frühzeit in Florenz in den 1470er-Jahren für seine Blätter auffällig verschiedene Grundierungen in leuchtend roten, orangen, hellvioletten, rosa- und cremefarbenen Tönen. Auf allen zeichnete er mit dem Metallstift, dessen Linien er bisweilen mit der Feder nachzog, um die Motive herauszuarbeiten und zu präzisieren. Nach seiner Übersiedelung nach Mailand um 1482 griff er besonders gerne zu einem zuvor nur selten verwendeten blau grundierten Papier, wie bei den Pferdestudien für das nie ausgeführte bronzene Reiterdenkmal, das der Regent von Mailand, Ludovico Sforza, zu Ehren seines Vaters Francesco in Auftrag geben hatte. Bei diesen Studien gelingt es Leonardo wundervoll, mit dem Metallstift die anatomischen Details festzuhalten und, in Verbindung mit dem blauen Fond, den dunklen Ton und die Härte des bronzenen Materials sowie die Einbindung des Pferdekörpers in einen von Luft und Atmosphäre durchtränkten Raum zu veranschaulichen. Die Studie für den Apostel in dem berühmten Abendmahl ist eine der letzten auf blau präpariertem Papier und eine der letzten, die Leonardo mit dem Metallstift ausgeführt hat.
In Szene gesetzt – Hell-Dunkel nördlich der Alpen
Nahezu alle Künstler im deutschsprachigen Raum und auch in den Niederlanden nutzten die Hell-Dunkel-Technik nicht für das Studium von Details, sondern in erster Linie für bildhaft durchkomponierte Zeichnungen. Aufgrund der hohen ästhetischen Qualität ist das Verfahren besonders geeignet, solchen Blättern diesen besonderen Status zu verleihen. Es spricht einiges dafür, dass sie tatsächlich außerhalb einer Künstlerwerkstatt rezipiert wurden. Das heißt, dass Hell-Dunkel-Zeichnungen das zunehmende Bedürfnis des spätmittelalterlichen Publikums nach erlesenen Werken der Kunst bedienten. Das war mit massenhaft hergestellten Druckgrafiken möglich. Für anspruchsvollere Kundenwünsche kamen gezeichnete Einzelstücke auf den Markt. Meist sind es delikate kleinformatige, bildmäßig abgeschlossene szenische Darstellungen, wie sie Dürer mit seiner Grünen Passion schuf. Ein sorgsam platziertes Monogramm, eine auffällig angebrachte Datierung, Widmungsinschriften, gezeichnete Rahmenlinien und schließlich Kompositionen, die kopiert oder sogar in Kleinstauflage gingen – all das hebt sie schon seit der Mitte des 15. Jahrhunderts als preziöse Schaustücke aus der Masse des eher zügig entstandenen Werkstattmaterials heraus.
Florentiner Modell- und Kopfstudien auf farbigem Papier
Aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts haben sich von Florentiner Künstlern verschiedene mit dem Metallstift auf farbig präpariertem Papier gezeichnete Kopfstudien erhalten. Während Filippino Lippi für sein Bildnis eines Jünglings, das vermutlich ein Porträt in einem Gemälde vorbereitet, einen graublauen Fond wählte, entschieden sich Raffaellino del Garbo und Lorenzo di Credi in den hier ausgestellten Zeichnungen für eine gelbliche bzw. rosafarbene Grundierung. Bei diesen zart modellierten Bildnissen kommt der Lichthöhung eine besondere Bedeutung bei der Herausarbeitung der Formen zu. Sie bringt zugleich die Oberfläche zum Glänzen und verleiht den Gesichtern eine strahlende Wirkung.
Besonders verbreitet waren Modellstudien, bei denen die Künstler Gewandfiguren oder Akte in stehender, sitzender oder kniender Haltung einzeln oder zu mehreren nebeneinander gezeichnet haben. Bisweilen sind die Figuren in ihren Bewegungen variiert, ebenso häufig besteht aber kein Bezug zwischen ihnen. Gewöhnlich entstanden derartige Zeichnungen nach Modellen, doch verwendete Domenico Ghirlandaio in seiner Studie für die Draperie der Muttergottes, wie häufig auch Frau Bartolommeo, eine Gliederpuppe.
Das Blau der Lagune – Dürer und Venedig
Während seines Aufenthalts in Venedig machte Dürer um 1506 Bekanntschaft mit der italienischen Praxis, auf bereits im Herstellungsprozess durchgefärbten Bögen zu arbeiten. Besonderer Beliebtheit erfreute sich die tiefblau pigmentierte, aber durchaus nicht hochwertige carta azzurra. In Venedig erlangte er auch Kenntnis von Blättern, mit denen Künstler wie Giovanni Bellini oder Vittore Carpaccio während des Malprozesses Bilddetails ausarbeiteten. Der freundschaftliche Verkehr, insbesondere mit Bellini, dürfte Dürer damals dazu angeregt haben, den Einsatzbereich der Hell-Dunkel-Technik um solche Anwendungsmöglichkeiten zu erweitern. Die Arbeit an seinen venezianischen Gemälden war nun von Zeichnungen auf carta azzurra begleitet. Dem Künstler bot sich damit etwa die Gelegenheit, Varianten in ihrer malerischen Wirkung oder die Charakterisierung der unterschiedlichsten Oberflächen, Formen und Strukturen zu erproben. Als unmittelbare Vorstudien für die Malarbeit waren die Zeichnungen –nicht zuletzt wegen der extremen Ausarbeitung der Details – aber kaum zu gebrauchen. Als Teil des Werkstattfundus hatte Dürer damit aber Glanzstücke analytischer Beobachtung und präzisester Wiedergabe als Beweis seiner Kunst verfügbar.
„Mit halben Farben“ – Dürer und das Hell-Dunkel
Von Albrecht Dürer selbst erfahren wir aus den Jahren 1520/21, dass er während seines Aufenthalts in den Niederlanden Entwürfe „mit halben Farben“ hergestellt habe. Wir dürfen annehmen, dass darunter Zeichnungen in Chiaroscuro verstanden wurden. Die Technik begleitete ihn einen Großteil seines künstlerischen Lebens. Seine mehrfache Begegnung mit der Kunst Italiens regte ihn außerdem an, die dort gepflegte Praxis aufwendig gestalteter Einzelstudien über die Alpen zu tragen. Zum 1509 vollendeten Heller-Altar haben sich fast 20 solcher Detailzeichnungen für Draperien, Hände oder Köpfe erhalten. In Technik und Stil lehnen sie sich an die in Venedig entstandenen Studien auf blauem Papier an, doch hat Dürer nun die Bögen sehr sorgfältig in Blau oder Grün grundiert. Die sehr feine Oberfläche erlaubte ihm ein äußerst delikates Arbeiten, viel feiner als auf der rauen venezianischen carta azzurra. Ohne Vorzeichnung skizzierte der Künstler mit feinsten Pinselstrichen die Außenkonturen. Im nächsten Arbeitsschritt akzentuierte er die verschatteten Bereiche mit feinen Lasuren aus verdünnter Tinte, um schließlich mit feinsten Pinselstrichen in dunklerem Grau und Weiß jedes noch so winzige Detail herauszuarbeiten.
Hell-Dunkel extrem – Hans Baldung Griens Hexenküche
Dass Frauen wie Männer in Geheimbünden und vom Teufel mit Gewalt begabt ihr schändliches Unwesen treiben, davon war der Mensch der Frühen Neuzeit überzeugt. Hans Baldung Griens Hexenbilder und Darstellungen aus dem erweiterten Themenkreis zeigen sie bei ihrem verderblichen Tun. Der Künstler wählte als Grund seiner Blätter oft einen rotbraunen Ton, der stark mit dem Schwarz und Weiß der Zeichnungen kontrastiert und hilft, Furor, Gewalt und Energie der Szenen ins Extrem zu steigern. Alles Licht wird mittels feinster Schraffurgespinste veranschaulicht, die sich unruhig vibrierend über die von ihm beschienenen Partien breiten. Erst in der Kombination von Dunkel und Hell entstehen Details, Struktur, Raum und Plastizität. Der Künstler muss schon während des Zeichenprozesses mit Kalkül und einer präzisen Vorstellung des fertigen Produkts vorgehen. In seiner Imagination zerlegt er das wiederzugebende Bild vorab in Hell und Dunkel. Das bloße Überarbeiten einer in Schwarz angelegten Zeichnung mit Weiß erbringt kein befriedigendes Ergebnis und trennt die Meister des Fachs von den Stümpern.
Leonardo und das neue Körperideal der Hochrenaissance
Leonardos Rückkehr nach Florenz um 1500 läutet die neue Phase der Kunst der Hochrenaissance ein, deren Wurzeln in früheren Werken des Meisters liegen und an deren Herausbildung auch Künstler wie Michelangelo oder Raffael beteiligt waren. Leonardos Menschen kennzeichnet von nun an eine Monumentalität, die in der plastischen Auffassung der Körper sowie in der Kraft und der Bewusstheit des Auftretens anschaulich wird. Besonders an Aktzeichnungen offenbart sich das neue heroische Figurenideal, zu dem Leonardo auch durch seine intensiven anatomischen Studien gelangte. Gegen Ende seines Lebens gab er an, dreißig Menschen seziert zu haben. Er plante, einen Traktat über die Anatomie zu schreiben, wobei ihn u. a. die Form und Struktur, Entstehung, Entwicklung und die Proportionen des Körpers sowie das Funktionieren der Organe interessierten. Mit seinem wissenschaftlichen Interesse verband sich auch ein künstlerisches, denn Leonardo suchte durch seine anatomischen Studien die Darstellung des Körpers und seiner Bewegungen sowie der Motivationen und inneren Gefühle des Menschen in der Malerei zu vervollkommnen.
Mit Rötel auf rotem Grund
Leonardo verkörpert aufgrund der Vielseitigkeit seiner sich gegenseitig durchdringenden künstlerischen und wissenschaftlichen Interessen das vollkommene Renaissanceideal des Universalgenies. Bei seinen wissenschaftlichen Forschungen gelangen ihm bahnbrechende Entdeckungen, und auch auf dem Gebiet der Malerei und Zeichnung verdanken wir ihm viele Neuerungen. So dürfte er als Erster mit dem Rötel auf rot präpariertem Papier gezeichnet haben. Dabei hebt sich der Strich nicht kontrastreich vom weißen Grund ab, sondern verbindet sich harmonisch mit dem Fond. Bei Aktstudien bildet das Rot gewissermaßen die materielle Substanz, aus dem Leonardo den Körper schrittweise herauslöst, und dient ihm zur Veranschaulichung des Fleischtons. Auf anderen Blättern verwendet er den Rötel in Verbindung mit schwarzer Kreide, Feder, Weißhöhung oder Lavierung und erzielt dadurch beeindruckende malerische Wirkungen. Die Rot-auf-Rot-Technik hatte nicht nur einen nachhaltigen Einfluss auf Künstler des Leonardo-Kreises wie Cesare da Sesto, sondern inspirierte auch andere Maler wie Francesco Primaticcio oder Giovanni Ambrogio Figino.
Hell-Dunkel-Zeichnungen in den Niederlanden
In den Niederlanden nehmen Hell-Dunkel-Zeichnungen gleichsam eine Mittelstellung zwischen Italien und Deutschland ein. Sie dienten einerseits als Entwürfe oder Präsentationsblätter im Werkprozess, andererseits entwickelte sich vor allem in der Handels- und Kunstmetropole Antwerpen schon im frühen 16. Jahrhundert ein florierender Sammlermarkt, für den bildmäßig abgeschlossene Zeichnungen mit attraktiven Sujets geschaffen wurden. Als einer der ersten niederländischen Meister entdeckte Hugo van der Goes – wahrscheinlich angeregt durch italienische Vorbilder – in der Chiaroscuro-Technik neue Ausdrucksmöglichkeiten. Neben der besonders plastischen Modellierung der Bildgegenstände lieferte diese auch genauere Informationen über Licht-Schatten-Effekte. Letzteres ist der Grund, warum niederländische Hell-Dunkel-Zeichnungen besonders häufig als sogenannte Scheibenrisse für Glasfenster angefertigt wurden. Unter dem Eindruck deutscher Künstler erlebte die Technik vor allem in Antwerpen zwischen 1520 und 1535 eine reiche Blüte.
Augsburg hautnah – Das Porträt auf farbigem Grund
Von Hans Holbein d. Ä. hat sich eine große Anzahl Porträts erhalten, die mit dem Silberstift und anderen Zeichenmitteln auf zart getöntem Grund entworfen wurden. Einige finden sich als Assistenzpersonal in Gemälden wieder, andere dienten als Vorstudien für gemalte Bildnisse. Für die beiden hier gezeigten Blätter ist aber keine weitere Verwendung belegt. Holbein porträtierte Personen kirchlichen wie weltlichen Standes und aus nahezu allen sozialen Schichten: vom einfachen Handwerker über Zunftmeister und Künstlerkollegen bis hin zur international vernetzten Führungselite der Stadt. Überhaupt war Augsburg damals ein Zentrum der Porträtkunst. Zeichnung, Malerei und Medaillen sind die Medien, die uns mit der damaligen Welt bekannt machen. Eine Besonderheit ist das druckgrafische Porträt, dem sich in Augsburg Hans Burgkmair d. Ä. widmete. Für die technische Umsetzung in den Holzschnitt sorgte der Niederländer Jost de Negker, der als größtes Talent für die Herstellung der zum Druck notwendigen Holzstöcke galt. Mit dem in Claire-obscur-Technik mehrfarbig gedrucktem Bildnis des Patriziers Hans Paumgartners hat das Künstlerduo sowohl die Grenzen zur Farbgrundzeichnung als auch zur Malerei berührt.
Albrecht Altdorfer und die Kalligraphie der weißen Linie
Zu den großen Virtuosen der Hell-Dunkel-Technik gehört Albrecht Altdorfer. Als Grundton favorisierte er warme Farben, gelegentlich auch ein kühleres Blau. Altdorfers ästhetisches Hauptanliegen war die kunstvolle Kalligrafie der weißen Linien, die oft so strahlend das Bild dominieren, dass der dunkel gezeichnete Teil und der Fond vollkommen zurücktreten. Fast schreibend führt Altdorfer die zeichnende Hand, als wollte er das Beherrschen kompliziertester Gesten und Linien demonstrieren, ähnlich wie ein Schreibmeister verschiedene von ihm beherrschte Schriften. So veranschaulicht Altdorfer das Prozesshafte des Zeichnens, während etwa Dürer und Baldung ein höchst diszipliniertes Liniengewebe von kupferstichartiger Präzision anstreben. Sie nutzen das Weiß zur Modellierung der Körper, zur Dramatisierung der Lichtregie, zur Klärung des Raums. Altdorfers Kalligrafie hingegen bewirkt Chaos, Unschärfe und spontane Bewegung und zeigt den Künstler als wahren Akrobaten der Feder und des Pinsels. Bei ihm definiert die weiße Linie zwar die Form, emanzipiert sich aber vom Licht, liegt über Farbgrund und schwarzer Zeichnung oft wie ein Vorhang, bleibt transparent und verfestigt sich kaum zu Materie.
Meister der Hochrenaissance in Rom, Florenz und Venedig
Zu den bedeutenden Vertretern der Hochrenaissance in Florenz zählt neben Leonardo und Michelangelo auch Fra Bartolommeo, der in seinem Entwurf für die Gürtelspende der Madonna zu einem gerötelten Papier griff, wie zuvor bereits Pisanello oder Lorenzo Monaco in den zu Anfang der Ausstellung gezeigten Blättern. Bei der Modellstudie für die Gruppe des Pythagoras in der Schule von Athen wählte Raffael ein grau grundiertes Papier, wie er überhaupt bei seinen Metallstiftzeichnungen der römischen Schaffensphase matte graue, graugrüne, rosa- und cremefarbene Töne für die Präparierung bevorzugte. Zugleich waren in seiner Werkstatt Papiere in unterschiedlichsten Farben in Gebrauch, wie Giulio Romanos Hell-Dunkel-Zeichnung auf braunem Grund nach einem Entwurf Raffaels für die Transfiguration zeigt. Tommaso Vincidor verwendete bei seinem Entwurf für die Teppichserie mit spielenden Putten ein bereits bei der Herstellung eingefärbtes braunes Naturpapier. Dagegen sind die wundervollen Exponate der aus Venedig bzw. dem Veneto stammenden Künstler Giovanni da Udine, Sebastiano del Piombo und Tizian Beispiele für das in der Lagunenstadt besonders beliebte blaue Naturpapier, die carta azzura.
Tizian – Raffael – Parmigianino
und die Erfindung des Chiaroscuro in Italien
Im Jahre 1516 suchte der Maler und Holzschneider Ugo da Carpi beim venezianischen Senat um ein Privileg – eine Art Copyright – an, indem er angab, ein neues Verfahren, in Hell und Dunkel zu drucken, erfunden zu haben. Ugo war zwar der erste Formschneider des Clair-obscur-Holzschnittes in Italien, doch hatten diese Technik bereits zuvor Hans Burgkmair und Jost de Negker in Augsburg sowie Lukas Cranach in Wittenberg entwickelt. Dabei wird eine Strichplatte zusammen mit mindestens einer ergänzenden Farbplatte gedruckt. In seinem erstem Chiaroscuro, dem hl. Hieronymus, ähnelt die Linienführung Federzeichnungen von Tizian, der auch den Entwurf für diesen Druck lieferte. Seine später in Rom geschaffenen Chiaroscuri nach Entwürfen Raffaels setzen sich aus drei oder mehr Farbplatten zusammen, die die Strichplatte allmählich überflüssig machten. Die Darstellung scheint nun allein aus Farbe und Licht modelliert zu sein. Zu der Herausbildung dieses malerischen Stils trug bei, dass Ugo keine reinen Federstudien mehr als Vorlagen erhielt, sondern vielmehr lavierte und mit Weiß gehöhte Federzeichnungen. Sein Hauptwerk ist der Diogenes nach einem Entwurf von Parmigianino, mit dem Ugo ab 1524 zusammenarbeitete.
Pressebilder
Leonardo da Vinci
Stehender männlicher Akt, um 1503–1506
23,4 × 14,6 cm, Rötel, Feder in Braun auf rot präpariertem Papier
The Royal Collection / HM King Charles III, Windsor Castle © Royal Collection Enterprises Limited 2025 | Royal Collection Trust
Oberrheinischer Meister
Musterblatt mit Evangelistensymbolen, Tieren und Wildem Mann, um 1430-1440
20,9 × 14,3 cm, Pinsel in Weiß auf schwarz grundiertem Papier
Städel Museum, Frankfurt am Main, Inv. 638 Z © Städel Museum, Frankfurt am Main
Leonardo da Vinci
Brustbild eines älteren Mannes, um 1508–1510
22,2 × 15,9 cm, Rötel und schwarze Kreiden auf orangerot präpariertem Papier
The Royal Collection / HM King Charles III, Windsor Castle © Royal Collection Enterprises Limited 2025 | Royal Collection Trust
Albrecht Dürer
Betende Hände, 1508
29,1 x 19,7 cm, Pinsel in Schwarz, Grau und Weiß, auf blau grundiertem Papier
ALBERTINA, Wien © Foto: ALBERTINA, Wien