Lieder von Unschuld und Erfahrung: Dorothy Iannones verfemte, visionäre Kunst
Seit über einem Jahrzehnt wird das Werk der US-Künstlerin Dorothy Iannone (1933–2022) in internationalen Retrospektiven in wichtigen Museen wie dem New Yorker New Museum oder dem Centre Pompidou in Paris gezeigt. Iannone, die seit den 1970er-Jahren in Berlin lebte, war eine Pionierin, die eng mit der europäischen Nachkriegsavantgarde, vor allem der Fluxus-Bewegung, verbunden war. In ihrer Malerei seit den späten 1960ern verbindet sie Text, Sprache und Ornament zu einem Mandala ihres Lebens, in das byzantinische, altägyptische Kunst, Magie, Folklore, elisabethanische Dichtung, Dada, Popkultur, griechische und hinduistische Mythologien einfließen. Iannone transformiert ihre Bilder zu visuellen Dichtungen, die sie in die Tradition von Visionären wie William Blake oder dem Beat-Poeten Allen Ginsberg stellt.
Mit ihren Videoboxen wie I Was Thinking of You (1978), die auch in unserer aktuellen Ausstellung Zwischen Ekstase und Selbstbestimmung zu sehen ist, verwandelt sie ihre Kunst in einen Hybrid aus Malerei, Skulptur und Film. Sie bringt sie buchstäblich zum Singen, verwandelt sie in eine Art Avatar, eine Körper-Box mit gemaltem Rumpf und einem Monitorgesicht, das sie wie einen Kopf montiert. Iannone singt, während sie in Ekstase ist, kurz vor dem Orgasmus oder high, was bis heute oft als exhibitionistischer oder provokativer Akt missverstanden wird.
In Iannones künstlerischem Werk ist die ekstatische geschlechtliche Vereinigung ein Ausdruck spiritueller Erleuchtung. Doch wegen seiner rückhaltlosen Sicht weiblicher Sexualität wurde es bis in die späten 1990er-Jahre mit Zensur, Einfuhrverboten, Beschlagnahmen, dem Ruf von Pornografie belegt. Der voyeuristische Blick auf weibliche Körper gehört zur Kunstgeschichte. Er gilt nach wie vor als männliches Privileg, an dem Iannones Darstellungen von auf Anzügen und Männerkörpern applizierten Penissen und selbstbewusst präsentierten Schamlippen erheblich rüttelten.
Der Berliner Kunstkritiker Oliver Koerner von Gustorf lernte Iannone Anfang der 2000er-Jahre als „Geheimtipp“ in der Kunstszene kennen und begann eine intensive, kreative Freundschaft mit ihr. In seinem Vortrag erzählt er von ihrem schwierigen Weg zur Anerkennung als Einzelkünstlerin und ihrem Kampf gegen Bigotterie und Sexismus.
Oliver Koerner von Gustorf lebt und arbeitet als freier Autor und Kunstkritiker in Berlin-Schlachtensee. Er schreibt für Zeitungen und Magazine wie Monopol, Weltkunst, 032c, taz, Tip, Tagesspiegel, Freitag. Von 2007 bis 2014 betrieb er die Galerie SEPTEMBER, wo er queere und feministische Künstler:innen wie Dorothy Iannone oder Marc Brandenburg zeigte. Auf Monopol Online hat er eine Kolumne „Form & Haltung“, in der er Essays zu Kunst, Politik, Kultur und Ausstellungs-Reviews veröffentlicht. 2023 erhielt er den ADKV-Preis für Kunstkritik.
Aktuelle Ausstellung
27. September 2025 bis 11. Januar 2026
Zwischen Ekstase und Selbstbestimmung
Weibliche Perspektiven in der Kunst von Dorothy Iannone, Niki de Saint Phalle und Sarah Pucci
Presseinformationen
Tag der Veranstaltung
Freitag, 7. November 2025, 19 Uhr
Tickets
Karten zu dieser Veranstaltung sind zum Preis von 12 € (inkl. Getränke) im E-Ticketshop auf ahlers-proarte.com oder an der Stiftungskasse erhältlich.
Pressefotos
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