Die Lippische Gesellschaft für Kunst eV freut sich Werke von Melanie Siegel in einer Einzelausstellung präsentieren zu können.
Der Besuch der Ausstellung ist möglich vom 18. Mai bis 22. Juni 2025 im Ausstellungsraum der Lippischen Gesellschaft für Kunst eV im fürstlichen Residenzschluss Detmold von Dienstag bis Donnerstag von 11 bis 12 und 14 bis 17 Uhr sowie von Freitag bis Sonntag sowie an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.
MELANIE SIEGEL. PANOPTICON
Einführung in die Ausstellung „Melanie Siegel. Malerei“,
Schloss Detmold 18.05. bis 22.06.2025
Zwischen Landschaft und Architektur, undurchdringlich erscheinendem
Naturraum und menschengeschaffenen Raumkonstrukten zeigt uns die Malerin
Melanie Siegel imaginäre Orte voll unergründlicher Spannung.
Panopticon
Als Sir Norman Foster vor zehn Jahren seinen Entwurf für das neue Firmengebäude von Apple in Cupertino vorstellte, ging er nach der Adresse des
bisherigen Apple Campus „Infinity Loop Nr. 1“ von der perfekten Kreisform aus.
Gesteigert noch in dem Unendlichkeitszeichen, einer liegenden Acht ähnlich, ist die Kreisform von größter Schönheit und Präzision. Läuft man die perfekte Meile
(1,6 km) des Rundwegs in dem Ringgebäude, hat man durch die gebogenen endlosen Glasscheiben überall einen spektakulären Blick in den innenliegenden
Park (der übrigens doppelt so groß wie der Wiener Stadtpark ist), während eine Sicht nach Außen nicht vorgesehen ist.
Bereits der britische Philosoph des Utalitarismus, Jeremy Bentham, hatte um 1820 die Vorzüge der Kreis- bzw. Ringstruktur in der Architektur erkannt und für
den Bau von modernen Fabriken, Gefängnissen und ähnlichen Anlagen empfohlen. Sie ermöglichte die gleichzeitige Überwachung vieler Menschen
durch einen einzelnen Überwacher und war damit äußerst effektiv und kostensparend.
Vom in der Mitte der Anlage gelegenen Beobachtungsturm, von welchem aus die Zellentrakte strahlenförmig abgingen und in einen Ring mündeten, konnte der
Wärter die Zellen einsehen, ohne dass die Insassen wiederum den Wärter sehen konnten. Das liegt daran, dass die Gefangenen aus der Sicht des Wärters im
Gegenlicht gut sichtbar waren, der Wärter selbst jedoch im Dunkel seines Standortes nicht ausgemacht werden konnte. Mithin wussten die Insassen nicht,
ob sie gerade überwacht wurden und benahmen sich deshalb in vorauseilendem Gehorsam (so Jeremy Banthams Theorie) untadelig und gesellschaftskonform.
Kein Wunder, dass dieses Nützlichkeitsprinzip sich bis heute in Gefängnissen wie dem berüchtigten Wandsworth Prison in London (in dem u. a. Julian Assange
und Boris Becker einsaßen), dem Zellengefängnis Moabit, aber auch in Port Arthur, Tasmanien, und dem „Presidio Modelo“, d. h. dem „Modellgefängnis“ in
Kuba und vielen weiteren internationalen Gefängnisbauten erhalten hat.
Hausring II
Melanie Siegels Gemälde „Hausring II“ aus dem Jahr 2023 zeigt eine solche architektonische Ringstruktur, die an einer Stelle unterbrochen ist, so dass den
Betrachtenden ein Blick nach innen auf einen kreisförmigen Pool mit umlaufendem Palmenbewuchs gewährt wird.
Die Öffnung der Ringstruktur lässt die Architektur des Berliner Olympiastadions mit ihrem „Marathontor“ für den Zieleinlauf der Atlethen aufscheinen. Der Betrachterstandpunkt wiederum erinnert an die Überwachungsperspektive aus dem Banthamschen zentralen Beobachtungsturm, scheint aber, sehr zeitgenössisch, aus einer Drohne heraus aufgenommen zu sein.
Zugleich lässt die 13-stöckige Anlage mit ihrer monotonen Fassadenstruktur und den beliebig erscheinenden Farbakzenten die ambitionierten, aber wenig geglückten Modellbauprojekte internationaler Bauausstellungen sowie Oscar Niemeyers Gesamtkonzept der idealen Hauptstadt Brasilia aufscheinen. Auch dystopische Filmsets, von Fritz Langs megalomaner „Metropolis“ hin zu Terry Gilliams schwarzer Komödie „Brazil“ (sic!) oder Ricardo Bofills monströsem postmodernem Sozialwohnungskomplex der 1980er Jahre, sein „Versailles des Volkes“ in St. Denis bei Paris, scheinen Melanie Siegels Architekturvision Pate gestanden zu haben.
Schönheit und Schrecken im Anblick des Perfektionismus: Zwar laden Sonnenschirme und schattenspendende Bäume zu einem Bad im Pool ein, doch fehlen die Menschen. Der kalte Perfektionismus dieser menschengeschaffenen Idealarchitektur, die wie ein Meteorit von einem fernen Planeten in einen grünen Dschungel eingeschlagen zu haben scheint, lässt keine Benutzung zu. Wie sollte man sich auch entspannen, spielen oder baden, wenn die 1.000 Augen der nach innen liegenden Fenster auf einen gerichtet sein könnten und jegliche Privatheit sabotieren?
Gehäuse (I)
Diesen Architekturfiktionen vordergründig geradezu entgegengesetzt wirkt Melanie Siegels Gemälde „Gehäuse (I)“ aus dem Jahr 2025. Die Idealarchitektur einer mönchischen Enklave in einer an Caspar David Friedrich erinnernden Mittelgebirgskulisse lädt zur inneren Einkehr und Meditation ein. Zugleich lässt sie auch ikonische Architekturen wie die gestapelten Baukörper des VitraHauses in Weil am Rhein mit ihren 5-eckigen, vollflächigen Glasfassaden aufscheinen.
Dort wie in Melanie Siegels Modellarchitektur ist das minimalistische Konzept einer Behausung als Mönchszelle eingeschrieben. Eine quadratische Glasfront mit dreieckigem Dachausschnitt erinnert an das Zeichenspiel für Kinder „Das ist das Haus vom Nikolaus“ oder auch an das Logo der Berliner Architekturgalerie Aedes. Der Innenraum aus geschliffenem Sichtbeton mit einer Designerliege als Repoussoir und dem Teppich, der einen stilisierten Nadelwald rapportartig abbildet, scheint eines Architekturmagazins würdig, doch erzeugt er auch Unbehagen.
Die Natur erscheint zurechtgestutzt zur Kulisse – wie schon Caspar David Friedrich sie in seinen Werken als Collage aus seinem Set von Einzelmotiven zusammensetzte – und im Innenraum zu einem minimalistischen Dekoelement geschrumpft. Melanie Siegel zeigt uns einen Denk- und Möglichkeitsraum, der menschenleer und von jeglicher Benutzung entrückt, in seiner aseptischen Perfektion, die sogar den idealen Betrachterstandpunkt vorgibt, unnahbar, überfordernd, beinah totalitär ist.
No Bigger Splash
Mit „A Bigger Splash“ schuf der Brite David Hockney 1967 ein ikonisches Bild des Californian Way of Life. Mit dem großen Wasserstrahl, den ein Schwimmer beim Sprung ins Wasser vor einer stylishen Bungalowfassade verursacht hat, schuf Hockney mehr als nur einen Moment für die Ewigkeit.
„California Dreaming“ ist hier eingefroren in einem wolkenlos blauen Himmel, präzise gesetzten Lichtreflexen auf dem Wasser und die im Zenith stehende Sonne, die eine fast perfekte Schattenlosigkeit erzeugt.
So wenig reale Menschen sichtbar sind, so sind es doch ihre Träume: Denn der Pool zeigt – mehr als Haus, Auto oder die eigene Kunstsammlung – das menschliche Begehren. Der private Pool symbolisiert den Erfolg, dass man „es geschafft“ hat. Er ist die spiegelnde Kulisse einer konsumgestützten Selbstinszenierung, aber auch der Ort, an dem der Traum sekundenschnell zum Alptraum werden kann, denken wir nur an Filme wie „Sunset Boulevard“ von Billy Wilder (1950) oder „Swimming Pool“ von Jacques Deray (1969).
Melanie Siegels Poollandschaften ist jeglicher Kontext entzogen. Das Gemälde „Poollandschaft“ von 2023 mit seinem Ring von Sonnenliegen und -schirmen um ein kreisförmig angelegtes Becken steht in einer scheinbar unberührten, urwaldartigen Landschaft. Der Allmacht suggerierende Blick von oben zeigt die Zugangslosigkeit des Wasserbeckens wie auch die fehlende Zuwegung der Gesamtanlage. Architektur wie Landschaft scheinen sich gegen den Menschen verbündet zu haben, in ihrem Bestreben, ihn auszuschließen. Und doch erscheinen uns Melanie Siegels Räume zu verführerisch, zu geheimnisvoll, als dass wir uns von ihnen einfach abweisen ließen.
Ihre in vielen Schichten aufgetragene Acryl- und Ölfarben wirken wie Gaze oder Farbfilter, durch die wir ihre architektonischen Vexierbilder entfernt, entrückt, geradezu als Fata Morgana wahrnehmen. Im Malprozess entwickelt die Künstlerin aus zunächst locker und gleichmäßig mit Acryl aufgetragenen lasierenden Schichten langsam die einzelnen Bildmotive, ähnlich einer Archäologin, die aus einem zunächst unspezifisch und homogen erscheinenden Trümmerfeld langsam Strukturen, Wege und Mauern herausschält. Mit deckender Ölfarbe akzentuiert sie dann die Bilddetails wie Blatt- oder Fensterformen, Sonnenschirme oder Poolliegen. Ihre zunächst von Fotografien inspirierten Motive variiert sie kontinuierlich weiter, sodass die konkreten Orte ihre Bedeutung zugunsten ihrer fiktionalen Bildrealität komplett verlieren.
Das Gemälde „Spring“ (2023) zeigt einen runden Pool in frontaler Aufsicht, wieder von einer Drohne als optimiertem menschlichen Auge gesehen. Der Pool, dessen dreistufiges Treppchen eher geringe Wassertiefe suggeriert, wirkt mit seinen Schattenspielen mysteriös, als würde er eine geheimnisvolle Tiefe bergen. Ein Blick hinein in das Unbewusste? Obwohl seine Oberfläche verheißungsvoll im Sonnenlicht glitzert und das Wasser so transparent ist, dass man den Boden sehen kann, ist diesem Pool nicht zu trauen.
Das zur Schrumpfform mutierte, eingehegte Meer symbolisiert und bewahrt dessen Mysterium unendlicher Tiefe. Zwar gibt es in ihm keine
lebensvernichtenden Strudel, Springfluten oder Monsterwellen, doch ist ein Sprung in ihn keinesfalls risikolos, wie die Fülle von Swimmingpool-Filmen zeigt, die sich an dem, was sich unter der hochglanzversiegelten Oberfläche verbirgt, abarbeiten.
Damit spiegelt die Künstlerin das Auseinanderklaffen von Natursehnsucht und menschlichem Eingriff in die Umwelt. Je stärker wir in unserem Alltag der Natur entfremdet sind, desto stärker sehnen wir uns nach ihr und finden sie in Urlaubsprospekten oder Postkarten von einsamen Palmenstränden und leeren Swimmingpools.
Träume von Räumen
Assoziativ hoch aufgeladen changieren Melanie Siegels scheinbar realistische, hermetische Architekturfiktionen mit ihren streng kadrierten Bildräumen voll stiller Magie zwischen Faszination und Erschaudern. Die imaginären Orte voll unergründlicher Spannungen sind Utopie und Dystopie zugleich.
Damit zeugen Melanie Siegels Bildkonstruktionen von unserem Zwiespalt zwischen authentischer Naturerfahrung und dem urban geprägten Bedürfnis nach optimierter Ordnung als hochaktuelle Beiträge zu einer zeitgenössischen Landschaftsmalerei.
Christiane Heuwinkel, 18.5.2025
In Melanie Siegels Bildern geht es um den Natur- und Landschaftsraum als eine vom Menschen konstruierte Lebenswelt. Die gemalten, imaginären Bildorte zeigen vorwiegend menschenleere Sportplätze, Poolanlagen und Architekturen aus der Vogelperspektive. Ebenso konstruiert wie der vom Menschen geformte Landschaftsraum sind auch die Bilder selbst. Vordergründige Ruhe und Harmonie durchziehen die künstlich tadellosen Schauplätze. Den in sich ruhenden Kompositionen ist jedoch eine subtil ambivalente Atmosphäre zu eigen: etwas seltsam Unwirkliches wohnt den realitätsnahen Darstellungen inne. Auf der Schwelle von Utopie zu Dystopie erzählen die Bilder vom Zwiespalt zwischen Natursehnsucht und konstruierter Lebenswelt.
Melanie Siegel, geboren 1978 in Freiburg, lebt und arbeitet in München. 1999 bis 2002 Ausbildung zur Bühnenmalerin. 2008 bis 2014 Studium Freie Kunst bei Karin Kneffel an der Akademie der Bildenden Künste München, 2013 Meisterschülerin von Karin Kneffel, 2015 Diplom.
Melanie Siegel erhielt Auszeichnungen und Stipendien der Erwin und Gisela von Steiner Stiftung sowie ein Aufenthaltsstipendium und einen Kunstpreis der Kulturstiftung der Sparkasse Karlsruhe. Ihre Werke wurden u.a. in der Rathausgalerie Kunsthalle München sowie im Museum Kunsthaus Fürstenfeldbruck und den Kunstvereinen Reutlingen und Rosenheim ausgestellt.
„Landschaftsmalerei erfährt in den Werken der in München lebenden Künstlerin Melanie Siegel eine Art Verjüngungskur, die sowohl neue Blickwinkel auf ein tradiertes Thema eröffnet als auch im selben Zuge unser Verhältnis zur Wirklichkeit befragt. Die zunächst realistisch anmutenden Szenarien präsentieren Motive scheinbarer Vorstadtidyllen; sie zeigen ein von einer Hecke überwuchertes Gartentor, eine baumkronengerahmte, akkurat rechtwinklig angelegte Tennisplatzanlage, einen stromleitungsdurchkreuzten Himmel oder einen penibel gepflegten, pflanzenumstandenen Swimmingpool aus der Vogelperspektive. Immer handelt es sich dabei, so wird schnell deutlich, um Grenzräume, in welchen Natürliches und Artifizielles, organisch Wucherndes und menschlich Konstruiertes aufeinanderprallen.
Nicht weniger konstruiert als die geformte Kulturlandschaft sind auch die Bildwelten selbst. Fragmente der Wirklichkeit stellen lediglich eine Komponente in der Werkentstehung dar. Versatzstücke der Realität in Form von im Alltag gesammelten Eindrücken oder jüngst auch Satellitenaufnahmen werden im Atelier um assoziative und imaginative Aspekte erweitert, die Komposition, Lichtführung und atmosphärische Wirkung genauestens durchdacht und mit malerischen Auflösungen unterlegt. Denn die Glaubwürdigkeit der Bilder zerbröselt bei genauerer Betrachtung nicht nur inhaltlich, sondern auch auf formaler Ebene. So zerfällt der scheinbare Realismus der Malerei in Kongruenz zum Realismus des Motivs: Abstrakt gehaltene Partien und der Aufbau der Darstellung aus zahlreichen getupften Pinselstrichen, Lasuren und Verdichtungen erzeugen auf der Oberfläche eine dynamische Spannung.
Ergänzt wird diese Spannung um die meist ungewöhnlichen Bildausschnitte, in welchen die durchdachten Raumkonstruktionen in wirkungsvoller Weise zur Geltung gekommen. Gerade in den neueren Arbeiten erfolgt oftmals ein Heraustreten aus der subjektiven Perspektive. Insbesondere in den in Draufsicht dargestellten Architekturen, Tennisplätzen oder Pools entfernt sich der Blick zunehmend vom Boden und wird verstärkt objektiver. Trotzdem bewahren sich auch diese Motive den Hauch des Rätselhaften, der sämtlichen Bildern der Künstlerin anhaftet. Durch den Verzicht auf alles Anekdotische wirken die Szenerien wie aus der Zeit gefallen und evozieren doch, dass die Situation im nächsten Moment kippen könnte. Die vordergründige Ruhe wird unmerklich von einer ambivalent aufgeladenen Atmosphäre überlagert, die Stimmung oszilliert zwischen Harmonie und Befremden. In welche Richtung die labile Ausgewogenheit sich neigen wird, bleibt jedoch stets offen und den subjektiven Erwartungen der Betrachtenden überlassen. Deutlich wird dagegen, dass Melanie Siegel in ihren eindrücklichen Bildfindungen gerade durch die vorgenommenen Transformationen zum jeweiligen Kern des Motivs vordringt und das Wesen bzw. die Sache selbst einfängt.
So erschafft sie Sinnbilder, die als Ausdruck unserer Zeit vom Auseinanderklaffen von Natursehnsucht und menschlichem Eingriff in die Umwelt, vom Zwiespalt zwischen authentischem Erholungsort und dem urban geprägten Bedürfnis nach optimierter Ordnung erzählen. Die menschlich konstruierte Wirklichkeit wird dabei genauso auf den Prüfstand gestellt wie der Illusionismus des Bildes; beide erweisen sich als reine Hypothese. Mit ihren Werken verleiht Melanie Siegel der Landschaftsmalerei ein zeitgenössisches Antlitz und führt vor Augen, dass das Genre noch lange nicht ausgeschöpft ist und sich vor dem Hintergrund aktueller Debatten sogar vitaler denn je zeigt.“
Anne Simone Krüger, Kunsthistorikerin
Mehr Infos:
https://kunstverein-lippe.de/melanie-siegel/
https://www.melanie-siegel.de/
Veranstalter:
Lippische Gesellschaft für Kunst eV
Schloss 1
32760 Detmold
Für Rückfragen:
Dietmar Hille
d.hille@kunstverein-lippe.de
Melanie Siegel – o.T. Platz 1 (Ausschnitt)
Foto: Thomas Lomberg