Gelungener Abschied:
„Automatenbufett“ – Jan Steinbachs letzte Detmolder Inszenierung
freut euch des Lebens,
weil noch das Lämpchen glüht …
- So mancher schafft sich Sorg‘ und Müh,
- Sucht Dornen auf, und findet sie,
- Und lässt das Veilchen unbemerkt,
- s ihm am Wege blüht …
(elektrisches Klavier im Automatenbufett)
g.wasa – Detmold. – Am Ende gab’s reichlich Beifall. Erst mal sicherlich – verdient – für die Schauspieler (um ein pauschales Lob schon mal vorwegzunehmen!), wohl auch für die Aufführung. Dann aber – befeuert durch die Darstellerinnen („Jan, wir lieben dich“) – vor allem für den Regisseur. Es ist die letzte Inszenierung Jan Steinbachs, der sieben Jahre Schauspieldirektor am Landestheater Detmold war und sich jetzt in die Unabhängigkeit verabschiedet (aber auch in Zukunft hier inszenieren soll). Zum Abschied hat er sich noch mal ein großes Stück geleistet – allein schon vom Personalaufwand her: Dreizehn Namen stehen auf der Besetzungsliste, fast das komplette Ensemble (und kaum weniger als im Personenverzeichnis des Buches). Selbst das „elektrische Klavier“ der Vorlage ist hier durch einen menschlichen Mundharmonikaspieler ersetzt (Paul Enev, der – während der Oberförster mit angelegtem Gewehr auf einen Kontrahenten wartet – auch mal das wohl prägnanteste Mundharmonika-Motiv der Kinogeschichte anklingen lässt).
Zugegeben: „Automatenbufett“ ist so wenig bekannt wie Anna Gmeyner. Aber das Stück hatte 1932 einen vielversprechenden Start (Thalia Theater Hamburg, dann Berlin, Zürich mit Therese Giese) bevor die jüdische Autorin ins Exil musste und ihre Werke in der Versenkung verschwanden. Erst 2020 wurde Automatenbufett wieder inszeniert, von keinen geringeren als Barbara Frey und Martin Zehetgruber am Burgtheater, mit Maria Happel, Michael Maertens und Dörte Lyssewski). 2021 wurde es zum Berliner Theatertreffen eingeladen und steht immer noch auf dem Spielplan (nächste Vorstellungen an der Burg: 13.05.25, 04.06.25).
Das Landestheater ist mit dieser Ausgrabung also in bester Gesellschaft. –
Aber von Anfang an:
Die Autorin:
Anna Wilhelmine Gmeyner: geb. am 16.03.1902 in Wien, gest. am 03.01.1991 in York (GB). Das Mädchen aus liberaler jüdischer Familie träumte schon als Kind von einer Theater-Karriere. „Wie schaffe ich es, ins Burgtheater zu kommen“ soll sie immer wieder gefragt haben. Wie erwähnt: sie schaffte es, wenn auch erst postum. Nach vielversprechenden Anfängen in Berlin (u. a. Dramaturgin bei Piscator) kehrte Gmeyner nach der Machtergreifung der Nazis von einem Parisaufenthalt nicht nach Deutschland zurück. Mit Romanen, später auch mit Kinderbüchern wurde sie „zu einer bekannten Autorin der Exilliteratur“ (Wikipedia)
Das Stück – die Geschichte:
Wir befinden uns in Seebrücken, einer unbedeutenden Kleinstadt, genauer: im Automatenbufett der Frau Adam. Frau Adam ist unattraktiv, „gegen 50“, aber „gefühlt höchstens 35“. Die Leute kommen, um sich Brötchen, Wurst, Käse, gelegentlich auch Luxusprodukte wie Gänseleber aus dem Automaten zu ziehen oder sich ein Bier zu zapfen. Herr Adam („Anfang 40“) bringt vom Angeln die attraktive Eva (21) mit, die er aus dem Teich gezogen hat, in dem sie sich (wegen eines Mannes) ertränken wollte. Frau Adam ist nicht begeistert, aber da sie Ersatz für die soeben rausgeschmissene Bedienung braucht, darf Eva bleiben.
Herr Adam hat große Pläne: Er will Fische züchten und damit nicht nur die Stadt, ja gar: die Nation mit gesundem Essen versorgen, sondern durch den wirtschaftlichen Aufschwung auch sein Kaff zur Weltstadt machen. Aber, wie’s so ist: Neuerungen stoßen auf Widerstand: die Honoratioren sind dagegen. Die sind im „Deutschen Amateur-Fischer-Verband“ organisiert und treffen sich im Automatenbufett – ein konservativer Herrenzirkel, der in Seebrücken den Ton angibt. Die Ironie: tatsächlich bestimmen die Frauen, wo’s langgeht. Es ist Eva, die mit Hilfe ihres Sexappeals die Herren von Adams Idee überzeugt („Anstatt Ihre Reize spielerisch zu verschwenden, verwenden Sie sie für einen höheren Zweck“ – wobei offen bleibt, wie weit sie dabei geht – immerhin weiß sie hinterher, dass – zum Beispiel – der Stadtrat „furchtbar kitzlig am Bauch“ ist). Doch letzten Endes fällt Frau Adam die Entscheidung: Als Eigentümerin des Automatenbufetts dreht sie ihrem Mann den Geldhahn zu. Da mag Mann wiederum Genugtuung empfinden, wenn „die arme Alte“ auf einen 24-jährigen Gigolo und Nichtsnutz hereinfällt („Leidenschaft zerreißt alle Ketten“), welcher – kaum hat sie ihm Keller- und Vorratskammerschlüssel überlassen und ihm den Großteil ihres Vermögens überschrieben – ein Techtelmechtel mit der üppig-willigen Cäcilie beginnt (oder fortsetzt).
Für den abservierten Herrn Adam und das fortgejagte Fräulein Eva bleibt die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft: „Norden, Süden, Westen, Osten. So groß ist die Welt. Da wird sich doch noch ein Platz für uns beide finden.“
Ein Volksstück? Ein Zeitstück?
„Automatenbufett“, eine „Sozialsatire“ (Perlentaucher), ein „sozialkritisch-satirisches Volksstück“ (Wikipedia) erinnert tatsächlich an Horváths „Volksstücke“: Die „kleinen Leute“ sind besonders liebevoll gezeichnet: neben Eva musterbeispielhaft in Person des „abgebauten Lehrers“ Puttgam, der sich mühsam als obdachloser Straßenhändler durchschlägt und an die (1932 noch nicht weit zurückliegende) große Arbeitslosigkeit erinnert. Auch bei der entlassenen Bedienung Cäcilie und später auch bei Adam und Eva ist die Sorge vor der Arbeitslosigkeit zu spüren. An Horváth erinnert auch die raffiniert-originelle Sprache („Ich wär sehr gern ein anständiger Mensch geworden, aber ich kam nicht dazu“). Die schönsten Sprach-Perlen sind wiederum Puttgam in den Mund gelegt, so schön, dass wenigstens zwei zitiert werden sollen:
Ein Hund „läuft herum, und es ist ihm nicht gut, und er weiß nicht, wo er die Haxe heben soll. Und plötzlich, da riecht er an einem Stein und es kommt ihm so was Ruhiges in die Augen; er riecht was Vertrautes: Da hat ein anderer Hund hingemacht. Da ist ihm wohl. Und beim Menschen ist es gerade so, und was sich so bildet, ist ein Verein.“
„Ich wollte, ich wäre zwei kleine Hunde und könnte miteinander spielen.“
Der national-konservative Zeitgeist der frühen 1930-er Jahre spiegelt sich in den Honoratioren (Schulrat: „Keine roten Hetzreden!“), wenn vielleicht auch nur unterschwellig. Wenn der Redakteur einen Artikel „über Blumenzucht im deutschen Haushalt“ schreibt, so fällt das „deutsch“ zunächst nicht weiter auf. Aber dann präzisiert er: „gemütlich soll es sein, antisemitisch, menschlich soll es sein, poetisch …“. Das „antisemitisch“ wurde (wenn ich’s nicht überhört habe) aus der Detmolder Inszenierung gestrichen. Dafür hat Steinbach einen geschickten Dreh gefunden, seine Honoratioren als deutsch-national zu charakterisieren (zu karikieren), indem er sie jeweils strammstehen lässt, wenn Wörter wie „Nation“ oder „Heimat“ fallen.
Die Inszenierung
Dem einen, der anderen waren die fast drei Stunden zu lang (die Wiener schaffen’s in zwei). Dabei haben Steinbach & Co. bereits fleißig gekürzt, ohne Wesentliches wegzulassen. Respekt!
Zu Beginn erscheinen die Honoratioren über-stilisiert, geradezu karikiert, aber das gibt sich allmählich. Die Handlung wirkt geglättet, verharmlost. So sind die Altersunterschiede zwischen den Hauptpersonen eingeebnet; Frau Adam ist nicht „die Alte“, sondern eine durchaus attraktive jüngere Frau (Katharina Otte). Die Erotik, welche Gmeyner (die schließlich während der „frivolen Zwanziger“ groß geworden ist) recht unbefangen in ihrem Stück untergebracht hat, ist deutlich zurückgenommen – unübersehbar am Beispiel der Bedienung Cäcilie, die im Originaltext „tief dekolletiert mit üppigen Brüsten“ auftritt und Frau Adams Liebhaber warnen muss: „Nehmen Sie die Hand raus. Nicht meinetwegen, sondern wegen der Alten!“ Man vergleiche damit die brav-hochgeschlossene Bluse, welche Magdalena Weiß auf der Detmolder Bühne trägt. – Auch die – ich sag mal: körperbetonte – Schilderung von Evas nasser, enganliegender Kleidung wird auf der Bühne nicht abgebildet. Dennoch bleibt Alexandra Riemanns Eva ein sexy Männertraum, bei dessen Erscheinen die Herren Honoratioren ganz schrecklich zu Gockeln anfangen. Die heftigeren Übergriffe („Kann man das Fräulein hinten reinzwicken, oder muss man sich erst vorstellen?“) hat Steinbach seinen Darstellern allerdings als nicht mehr zeitgemäß ‘rausgestrichen.
Automatenbüfett als Symbol der Vereinsamung – das Bühnenbild
Anna Gmeyner hat sich für ihr Stück eine Drehbühne gewünscht, um die Handlung von Raum zu Raum (Gaststube – Billardzimmer – Badestube …) verfolgen zu können, und immer wieder detaillierte Ausstattungsanweisungen gegeben, vom tropfenden Wasserhahn bis zum „Tuch, auf dem mit gesticktem Kreuzstich steht ‚Ordnung erfreut‘“. Die Detmolder kommen mit einem sparsam ausgestatteten Einheits-Bühnenbild aus.
Bildbeherrschend ist das Automatenbufett: Ein mannshoher Kubus mit ein paar Dutzend Fächern, in denen die Waren auf ihre Kunden warten – darunter auch gefüllte Halbe-Gläser, welche da stundenlang vor sich hin dunsten. Für Liebhaber eines frisch gezapften Pils‘ eine Horrorvorstellung, an welcher Anna Gmeyner allerdings unschuldig ist: in ihrem Text holt man sich das Bier aus einem Hahn an der Wand („Das Bier ist frisch vom Fass“). Das hätten die Detmolder ruhig so belassen können, denn letzten Endes ist es doch Eva, welche die ungeduldigen Gäste mit Getränken versorgt („Fräulein, Bier, Fräulein, Schnaps, Fräulein!“).
Aber das Detmolder Regieteam sieht im Automatenbufett nun mal ein Symbol für „Isolation und Einsamkeit oder Entfremdung … eine Dienstleistung, ganz ohne menschlichen Kontakt“ (s. dazu die lesenswerten Beiträge im Programmheft). Mögen Steinbach & Co. beim Bier übers Ziel hinausgeschossen sein – angesichts der „Weiterentwicklung des Automatenbufetts zu Online-Handel, Selbst-Bedienungskassen, E-Kiosk“ ist ihr Anliegen sehr wohl berechtigt und aller Ehren wert!
Zwei bemerkenswerte Abweichungen vom Einheits-Bühnenbild gibt es: das Vor- und das Nachspiel am Teich: Ein Streifenvorhang repräsentiert die ins Senkrechte geklappte Wasseroberfläche. Und darauf sieht man Adam und Eva, die seitlich auf dem Boden liegend in einer komplizierten Choreografie so agieren, dass ihr Spiegelbild ganz natürlich auf der Teichfläche erscheint. Von meinem Platz in der ersten Reihe war das raffinierte Spiel hautnah zu beobachten. Von anderen Plätzen aus war das wohl nicht so einfach möglich. Schade, eigentlich.
Landestheater Detmold:
Automatenbufett
Schauspiel von Anna Gmeyner
Besetzung
Inszenierung Jan Steinbach
Bühne und Kostüm Carla Nele Friedrich
Dramaturgie Magdalena Brück
Licht Udo Groll
Adam Hartmut Jonas
Frau Adam Katharina Otte
Pankraz Emanuel Weber
Puttgam Stella Hanheide
Schulrat Wittibtöter / Fräulein Agnes Patrick Hellenbrand
Apotheker Hüslein / Apothekerin Gernot Schmidt
Stadtrat Ehrhardt / Frau Stadtrat Manuela Stüßer
Redakteur Arendt Rebecca Stute
Oberförster Wutlitz Jan-Niklas Shadan Mavigök
Cäcilie / Kaufmann Plötzow / Frau des Kaufmanns Magdalena Weiß
Willibald Boxer Banar Fadil
Musik-Box Paul Enev