Eine bitterböse Geschichte in drei Teilen
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Frühling lässt die Gifte wieder fließen
Er krabbelte auf die Wiese.
Der erste warme Frühlingstag, ließ sein blaues Band flattern durch die Lüfte.
„Wie herrlich die Natur.“, rief ein Mann und holte die Heckenschere aus dem Schuppen.
Es war Zeit die Beete vom restlichen Laub des Vorjahrs zu säubern und die Steine auf den Wegen von Schmutz und altem Moos zu befreien. Im Gartencenter gab es für alles die passende Chemie, natürlich umweltfreundlich. So stand es auf dem Etikett.
Eine Nachbarin rief über den Zaun: „Wir haben vorige Woche Kies bestellt. Einige Beete schaffen wir ab. Schöner weißer Kies und ein bis zwei Buchsbaumbüsche in Kübeln darauf.“
„Echte Buchsbäume? Man hört doch viel von diesem Schädling, Zündler heißt er.“
„Naja, ein grüner Farbtupfer auf dem weißen Kies sieht schon gut aus.“
Es gäbe sehr schöne, natürlich wirkende Buchsbaumbüsche aus Kunststoff. Und das Beste daran ist, dass sie abwaschbar sind. In diesem Moment nahmen sie von der anderen Seite einen Kärcher wahr. Der Nachbar, welcher ihn bediente rief, die Motoren von Rasenmähern und Heckenscheren übertönend: „Ich kärchere im Sommer jede Woche unsere Auffahrt und die Terrasse.“
Er zog sich zurück, um die anderen zu warnen.
Während ihrer Familienberatung, was nun zu tun sei, ergoss sich über Familie Käfer eine stechend riechende ätzende Brühe.
Das letzte, was Käfers wahrnahmen, war das verzweifelte Geschrei der Ameisen. Sie versuchten ihre Kinder über sterbende Regenwürmer, auf dem Rücken liegende Wespen und vom Kärcherstrahl zerteilte Schmetterlingslarven zu tragen.
Vergeblich, Unkraut-Ex hatte bereits ganze Arbeit geleistet.
- Oh, ihr Vögel seid schon da, alle Vögel – alle?
Welch ein suchen und verliern,
pfeifen, rufen, resigniern.
Er flog zum Gemeinschaftsschlafplatz und pfiff leise die Melodie des alten schönen Liedes. Der Text war längst ein anderer.
Er musste lange warten, ehe die kleine allabendliche Gruppe beisammen war.
Viele von ihnen wollten keine Nester bauen und keine Jungen mehr aufziehen, klagten über zu wenig Nahrung. Sie trafen sich auf dem Gemeinschaftsplatz.
Sie hörten eine Frau über den Zaun rufen: „Wir haben vorige Woche Kies bestellt.“
Ein anderer riet zum Kauf eines Plastikbusches.
Er konnte die Unterhaltung nicht weiter verfolgen, weil ein Mann den Kärcher betätigte.
Herr Käfer krabbelte auf die Wiese. Gleich wird seine Familie nachkommen.
Ein Mauersegler kam etwas verspätet aus seinem Winterquartier. Aufgeregt erzählte er, einem Fangnetz entkommen zu sein.
Ein Fink zwitscherte den alten Liedtext: „Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar… .
Dann sahen sie Familie Käfer liegen, vergiftet! Ameisen versuchten zu retten, was zu retten ist. Wespen lagen tot auf dem Rücken. Regenwürmer krümmten sich im Todeskampf.
Unkraut-Ex war auf die Beete und ein Pestizid in die Büsche gespritzt worden.
„So, geschafft. Feierabend für heute!“, rief der Mann der die Heckenschere besaß.
Er fiel tot vom Gemeinschaftsplatz, von einer Sprühsalve getroffen.
Er war der letzte Star dieser Gegend gewesen.
- Oh Aida, Schweröl verlierendes Ungeheuer
Eine Seefahrt wäre lustig fand der Mann und packte seinen Koffer. Den Kärcher und alle anderen Geräte hatte er im Schuppen verstaut. Er stieg in seinen SUV und los ging es.
Auf der Fahrt zum Hafen rätselte er, wieso gestern ein Vogel einfach so vom Baum gefallen war und er viele tote Käfer und Wespen aufkehren musste.
Mit dieser Kreuzfahrt belohnte er sich.
Im Garten musste so viel gemacht werden, Unkraut-Ex verteilen, Pestizide gegen Ungeziefer sprühen und die gepflasterten Wege und die Terrasse kärchern. Das sahen die Nachbarn ganz genauso. Sogar der Nachbar, der jetzt ein Kiesbeet hat. Sehr schön mit dem künstlichen Buchsbaum. Ob er das vielleicht auch machen sollte?
Er umkreiste lange schon dieses riesige Ungeheuer.
Seit Generationen störten Schiffe und Kriegslärm der Seeschlachten seine Navigation. Er war einer der ältesten Blauwale und an Erfahrung mit Schiffslärm fehlte es ihm nicht.
Aber dieses Schiff war so gewaltig und so laut, dass es ihn von seinem Kurs nach Norden ablenkte und von den anderen getrennt hatte.
Er sah einen Blauwal vor Schwäche sinken. Er hatte seit Wochen unverdaulichen Müll geschluckt. Das hatte ihm ein sattes Gefühl gegeben und einen gut gefüllten Magen vorgetäuscht.
Er selbst hatte einen Ball, zwei Plastikflaschen und einige Kleinteile verschluckt. Er wollte die anderen vor solchen Schiffen und vor den ungenießbaren Dingen warnen.
Eine riesige schwarze Formation schwamm über ihm. Ehe er flüchten konnte, war er gänzlich vom Öl umspült.
Tot trieb er noch eine Weile längs der holden Aida, dann versank er.
Sabine Penckwitt für kulturinfo-lippe