kulturinfo-lippe = (KL)
Venezia Fröscher-Cifolelli = (VFC)
KL. Liebe Venezia, vor 12 Jahren führten wir schon einmal ein Gespräch, als Du beim DKO anfingst. Jetzt treffen wir uns wieder, um über einige berufliche Veränderungen in Deinem Leben zu sprechen. Vorab möchte ich ein paar Details aus Deinem Leben erfahren, damit die Leser dich besser kennenlernen. Wie nennst du dich beruflich gesehen überhaupt?
VFC: Das ist die große Frage, die stelle ich mir auch immer. Dramaturgin, Musikjournalistin, Orchester- Musikmanagerin? Von jedem etwas und von Allem das Beste! (Ich zitiere eines der Lieblingsbücher meiner Kinder) Von der akademischen Ausbildung her betrachtet bin ich Musikwissenschaftlerin, habe in Köln die klassische Kultur-Trias – Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Germanistik – studiert und durfte noch als einer der letzten Jahrgänge mit dem Magister artium abschließen. Ich hätte gern auch noch promoviert, aber es kam anders …
KL: Wie das Leben so spielt.
VFC: Ja, tatsächlich haben sich immer wieder einige unvorhergesehene Türen und Tore geöffnet. Noch während des Studiums habe ich als Regieassistentin gearbeitet. Mir war schnell klar, ich muss zur Oper! So habe ich eigentlich den typischen Weg eingeschlagen: Hospitanzen, Praktika und erste Assistenzen in der Dramaturgie. An der Berliner Staatsoper hatte ich eine Hospitanz bekommen und daraufhin die mehrmonatige Urlaubsvertretung für die dortige Dramaturgieassistentin übernehmen können. Von Berlin aus ging es dann unmittelbar in meine erste Dramaturgiestelle nach Passau. Eigentlich hätte ich mich von dort dann in der Operndramaturgielandschaft weiter entwickeln müssen. Doch es kam überraschend anders: Ich lernte in Passau einen Tenor kennen! Es war wirklich „Liebe auf den ersten Ton“. Ich weiß noch, er stand vor mir auf der Bühne während seines Vorsingens für die Tenor-Partie in Bellinis „Sonnambula“, und ich dachte: Wahnsinn, der ist ja toll! Der sieht nicht nur gut aus, der kann auch toll singen! Ich war damals 29 Jahre alt und es war mir klar, nur mit diesem Mann kann ich mir vorstellen, einen gemeinsamen Lebensweg zu gehen. Da sich nun aber eine ernsthafte Beziehung über eine Distanz von 900 km nicht leben lässt, zog ich zum ihm in seine Geburtsstadt Antwerpen. Leider war es dort für mich beruflich sehr schwierig. In meinen Berufen – oder auch in meinen Berufungen – geht man mit Sprache um und ich war es gewohnt, meine Gedanken sprachlich präzise äußern zu können. Das klappte in einer mir zu diesem Zeitpunkt völlig fremden Sprache leider gar nicht.
Wir haben dann gemeinsam auf die Landkarte geschaut und überlegt, in welcher deutschsprachigen Region wir uns – möglichst nicht zu weit entfernt von Antwerpen – niederlassen könnten. Das war dann tatsächlich Detmold! Dort, wo ich geboren bin und mit 18 Jahren nicht schnell genug wegkommen konnte. Ich musste raus in die große weite Welt und das habe ich auch ausgiebig getan.
In Detmold wurde zu diesem Zeitpunkt just die Stelle des Orchestermanagements beim DKO frei, zunächst als Elternzeitvertretung, befristet auf drei Jahre. Aus den ursprünglich geplanten drei Jahren beim DKO sind dann tatsächlich 13 geworden und ich bin dem DKO sehr dankbar, dass ich während dieser Zeit Beruf und Familie weitestgehend unter einen Hut bringen konnte.
KL: Du hast Dich für die Familie entschieden und machst einen sehr zufriedenen Eindruck.
VFC: Auch so eine unverhoffte Wendung! Der Gedanke, eine Familie zu gründen, war mir lange fremd. Es brauchte wohl erst den richtigen Partner, um das Wagnis „Familie“ anzugehen. Uns schien allerdings die Karriere als Dramaturgin wenig kompatibel mit Familie zu sein, vor allem, wenn der Partner selbst freischaffend als Opernsänger tätig ist. Das zeigte sich uns als eine derartige Herausforderung, dass ich mich gegen die berufliche Karriere als Dramaturgin, aber dafür für Familie entschieden habe. Mein Mann kann allerdings „nur singen“, während ich auch noch andere berufliche Optionen habe. So war ich diejenige, die sich beruflich neu orientierte.
Um jetzt noch mal darauf zurückzukommen, was ich eigentlich bin? So irgendwas dazwischen, würde ich sagen. Musikwissenschaftlerin von Haus aus, Dramaturgin aus Leidenschaft, Kulturmanagerin mit Begeisterung.
KL: Über die Jahre bist du beim DKO zu einer Institution geworden und wirst fehlen.
VFC: Das klingt so dramatisch. Ich bin ja nicht weit weg, lediglich über die Straße (Gartenstraße und nun Willi-Hofmann-Str.). Bei Fragen unterstütze ich das DKO gerne.
KL: In der Hochschule wirst Du aber ganz was anderes machen?
VFC: So anders ist das gar nicht: ich mache quasi dasselbe, nur ohne Orchester. Jetzt werde ich Geschäftsführerin der Detmolder Sommerakademie und übernehme die Büroaufgaben für Opernschule und die drei Chöre an der HfM Detmold. Meine erste Sommerakademie habe ich bereits hinter mir – meine Feuerprobe sozusagen. Die Hochschule hatte mich kurzfristig im Februar kontaktiert, ob ich mir vorstellen könne, die Sommerakademie ad hoc zu übernehmen, da die bisherige Kollegin wegfiel. Ich wusste, diese Aufgabe bekomme ich neben meiner Tätigkeit für das DKO und meiner Familie irgendwie noch eingebaut. Mein Mann hat mir hier sehr den Rücken gestärkt und vor allem freigehalten. Nachdem wir im März örtlich gesehen einen Neuanfang gewagt hatten, mein Elternhaus saniert haben und dort eingezogen sind, schien mir auch die Zeit für einen beruflichen Neuanfang gekommen zu sein. Es fügte sich alles sehr erfreulich ineinander.
KL: Wir sitzen hier für unser Gespräch in deinem häuslichen Neuanfang, der zugleich eine Rückbesinnung auf deine familiären Wurzeln ist?
VFC: Dass ich mit meiner eigenen Familie irgendwann in das Architektenhaus meines Vaters ziehen würde, war auch wieder so Zusammenkommen unterschiedlicher, nicht vorhersehbarer Umstände. Mehr Glück und Kampfgeist, als Verstand. Mein Vater nannte sein Wohnhaus immer „Das Refugium“. Ein totaler Rückzugsort.
Ich glaube, es mangelt unserer Gesellschaft an einem Gefühl von Heimat und ich meine damit nicht Heimat im Sinne eines oft missbräuchlich verwendeten Begriffs oder als Kitsch, sondern im Sinne von Geborgenheit. Einem Gefühl von: Da gehöre ich hin und dort kann ich so sein wie ich bin. Das haben wir hier in unserem Zuhause. Heimat ist sicherlich nicht dort, wo man geboren ist, sondern dort, wo man sich Heimat schafft. Für viele war es sicherlich früher einmal die Religion, für mich ist dies einerseits die Natur – mein Buchenwald ist auch so ein Ort, wo ich nicht zur Ruhe, aber zu mir komme und etwas mitnehme, was mich durchs Leben trägt. Definitiv sind aber für mich die Kultur im Allgemeinen und vor allem die Musik im Speziellen mit dem Gefühl von Heimat und Geborgenheit verknüpft. Musik und Konzertsaal schaffen genau das: Wenn ich regelmäßig in einen Konzertsaal (oder ein Opernhaus) gehe, ist das irgendwann wie mein häusliches Wohnzimmer. Ich fühle mich dort Zuhause, heimisch. Deswegen sehe ich es vor allem derzeit als unverzichtbar an, dass Menschen mehr in kulturelle Einrichtungen gehen. Früher übernahmen diese Aufgabe die Kirchen. Für mich kann dies aber auch die Natur sein – mein Buchenwald ist auch so ein Ort, wo ich nicht zur Ruhe, aber zu mir komme und etwas mitnehme, was mich durchs Leben trägt.
KL: Du hast dich bei der ersten Sommerakademie so gut bewährt, das man Dir ein Angebot gemacht hat, zu bleiben und dafür wünschen wir Dir Toi! Toi! Toi!
VFC: Nach Theater-Aberglauben darf man sich ja auf ein „TOI-TOI-TOI“ nicht bedanken. Aber ich sage es dennoch: Herzlichen Dank.
KL: Jetzt noch eine Frage, die mich interessiert. Gibt es Musik, die Dich geprägt hat?
VFC: Mozart, ganz massiv! Meine Eltern gaben mir eine Kassette, betitelt mit den drei Buchstaben W.A.M. – Wolfgang Amadeus Mozart. Es war eine „Best off“-Kompilation seiner populärsten Werke. Die habe ich rauf und runter gehört. Ich weiß noch, mitten im „Dies irae“ des Requiems musste ich stets die Seite wechseln. Unmöglicher Spannungsverlust! Zweitens waren es „Die vier Jahreszeiten“ von Vivaldi. Da gab es diese Version für Kinder, erzählt von Karlheinz Böhm. Die hat mich ebenso fasziniert. Meine erste Opernvorstellung habe ich in Hamburg mit meinem Vater sehen dürfen: Zar und Zimmermann. Da muss ich etwa sechs oder sieben Jahre gewesen sein und konnte gerade so über die Brüstung des zweiten Ranges schauen. Ich habe zwar keine Erinnerung mehr an die Inszenierung, aber an den „Holzschuhtanz“, der mich in seinen Bann zog. Dass die Verbindung zwischen Instrumentalmusik, Gesang, Bühnenbild und szenischer Aktion möglich ist, das war mir vorher nicht bekannt. Einige Jahre später wurden meine Eltern in der Detmolder Innenstadt angesprochen, ob ich in der Kinderstatisterie des Landestheaters mitmachen wolle. Mich hätte das fasziniert, aber meine Eltern lehnten mit dem Argument ab, ihre Tochter solle nicht „einem Publikum zur Schau“ gestellt werden. Vielleicht war es richtig abzulehnen, denn ich habe mich nie gern auf der Bühne vor einem Publikum produziert. Bei Geigenvorspielen waren die vorletzten Töne immer das Schlimmste, denn ich wusste, nun kommt gleich der Applaus und damit die Beurteilung meines Vortrages. Dieses Zeremoniell mit Verbeugen und Bewertet werden – ich mag es nicht. Fasziniert hat mich die Bühne schon immer – für mich aber lieber hinter der Bühne. Das wurde mir aber erst während meines Studiums klar. Als Musikwissenschaftlerin ist man ja vielfältig einsetzbar und das war damit genau das Richtige für mich. Mit der neuen Position an der HfM schließt sich für mich der Kreis: ich kehre einerseits zum Musiktheater zurück, und habe jetzt sogar einen kleinen Lehrauftrag am Musikwissenschaftlichen Institut für dramaturgische Betreuung in Form von Programmheften im Rahmen der Opernschulproduktionen erhalten, andererseits kann ich weiterhin junge Musiktalente, angehende Künstler begleiten, was mir schon während meiner Zeit als Orchestermanagerin des DKO sehr zugesagt hat.
Einige persönliche Fragen.
KL: Ein paar Vorlieben: Bier oder Wein?
VFC: Hauptsächlich Wein, in letzter Zeit aber auch ab und zu Bier.
KL: Großstadt oder Land?
VFC: Land mit der Option Großstadt.
KL: Porsche oder Fahrrad?
VFC: Inzwischen Fahrrad. Früher nicht, da wäre ich mal gerne mit einem roten Ferrari über den Nürburgring gerast.
KL: Regionale oder internationale Küche?
VFC: Das Regionale in der internationalen Küche.
KL: Tatort oder Pilcher?
VFC: Tatort!
KL: Der liebste Film?
VFC: “Koyaanisqatsi“ ein Experimentalfilm mit der Musik von Phillip Glass fesselt mich; Filme von Pedro Almodovár berühren mich und Filme wie „Le gand bouffe“ begeistern mich. In jedem Fall müssen die Filme einer guten Dramaturgie folgen, sonst langweilen sie mich furchtbar.
KL: Bevorzugte Literatur?
VFC: Geprägt hat mich Thomas Mann – vor allem sein Zauberberg (der wird heute 100 Jahre alt, Anm. d. Redaktion). Ich verehre diese langen, strukturierten Sätze, seine ausgefeilte Sprache. Aber auch das Gegenteil: Kafka! Und auch Sartre, Flaubert, Fontane, Paul Auster und Simone de Beauvoir. Ich will mich unbedingt noch an den großen Philip Roth wagen, einer der Lieblingsschriftsteller meines Vaters.
KL: Lieblingsmaler?
VFC: Mein Papa! Seine Bilder haben mich zeitlebens begleitet und hängen nun in unserem gemeinsamen Domizil. Die Bilder sind für mich eine Form von Heimat.
KL: Das liebste Stück?
VFC: Gut sollte es sein und mich emotional packen. Das schaffen vor allem Vokalwerke, allen voran italienische Opern.
KL: Gibt es Hobbys?
VFC: Ich habe mein Hobby, meine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Nun habe ich kein Hobby mehr. Würde es meine Zeit erlauben, führe ich wahnsinnig gerne wieder durch die Lippischen Berge mit dem Rennrad – OHNE Elektroantrieb!