Tenor Stefan Cifolelli
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Stefan Cifolelli = (SC)
Bilder aus der Probe zu Orlando furioso, Oper von Joseph Haydn in der HfM Detmold
Der Tenor Stefan Cifolelli ist einer der vielseitigsten Sänger seines Fachs. Seine gesangliche Bandbreite reicht von den Opern der Moderne und Gegenwart über die des Belcanto und des französischen Fachs bis hin zu Mozart und zur Operette. Dabei kombiniert der vielseitige Gesangsdarsteller klangliche Stimmbrillanz mit Musikalität ebenso wie mit stimmtechnischer und stilistischer Souveränität.
Der belgische Tenor mit familiären Wurzeln in Italien studierte am Königlichen Konservatorium in Brüssel in der Klasse von Marcel Vanaud und Pascale Devreese. Neben Vittorio Terranova (Mailand) stand ihm auch Luciano Pavarotti als Lehrer zur Seite. Während seiner Studienzeit war er Mitglied des Opernstudios der Nationaloper in Brüssel (La Monnaie); auf Einladung Alberto Zeddas war er erfolgreicher Teilnehmer der Accademia Rossiniana in Pesaro, Italien. 2011 gab er sein erstes Solorecital am Brüsseler Opernhaus La Monnaie.
In der Saison 2013/2014 feierte Stefan Cifolelli sein Debüt an der Komischen Oper Berlin als Ferrando in Mozarts Così fan tutte. Seitdem verleiht er den Tenor-Partien in Mozarts Opern (Così fan tutte, Zauberflöte, Don Giovanni) regelmäßig seine Stimme und war damit u.a. am Gärtnerplatztheater München, an der Oper Köln, Theater Koblenz oder dem Theater Erfurt (unter Leitung von Joana Malwitz) zu hören.
Sein Repertoire als lyrischer Tenor umfasst neben Partien des italienischen Belcanto wie in Verdis Rigoletto (Theater Koblenz) oder Rinuccio in Puccinis Gianni Schicchi (Opernfestspiele Heidenheim 24/25), vor allem in jüngster Zeit immer wieder das französische Fach. So war Stefan Cifolelli als Nadir in Bizets Pechêurs des Perles an der Oper in Antwerpen in der legendären Regie von FC Bergmann (2023/2024) auf der Bühne wie auch 2020 in einer Produktion in der Regie von Wim Wenders (Leitung Renato Renzetti) in Peking. An der Oper Toulon (Frankreich) gab er 2021/2022 die Tenorpartie in Adolphe Adams Opera-comique Si j‘étais Roi.
Für seine Interpretation des Gandhi in Glass’ Satyagraha wurde er von Publikum und Presse gleichermaßen gefeiert. In der Choreografie von Sidi Larbi Cherkaoui bewies der lyrische Tenor an der Komischen Oper Berlin (17/18) und an der Oper seiner Heimatstadt in Antwerpen (22/23) einmal mehr seine künstlerische Vielseitigkeit. So wird er als eine der Höhepunkte der Saison 2024/2025 als Echnaton in der gleichnamigen Oper von Philipp Glass erneut auf der Bühne der Komischen Oper Berlin in der Regie von Berry Kosky stehen.
In der Spielzeit 2023/2024 gab er sein Debüt im Deutschen Fach als Victorin in Korngolds Die tote Stadt an der Deutschen Oper am Rhein, Düsseldorf (Regie: Daniel Kramer) und wird in der Spielzeit 2024/2025 in Strauss‘ Elektra bei den Opernfestspielen Heidenheim erstmals zu hören sein.
Neben der Opernbühne ist Stefan Cifolelli im Konzert- und Oratorienfach vertreten. Glanzpunkte dieser Spielzeit waren hier neben der herrliche Tenor-Partie in Puccinis Messa di Gloria in dieser Spielzeit die Konzerte mit Mahlers Das Lied von der Erde beim Festival „Printemps des Arts“ 2024 in Monte Carlo.
KL: Wie kamst Du überhaupt zur Musik?
SC: Durch Luciano Pavarotti. Ich habe diese Stimme mit acht oder neun Jahren gehört. Ich weiß nicht genau warum, aber diese Stimme hatte genau das, weshalb ich von da ab Sänger werden wollte. Und ich hatte das große Glück von ihm unterrichtet zu werden. Das ist eine ganz lustige Geschichte und Schuld daran war meine Mutter: Während meines Studiums bin ich jedes Jahr nach Italien zum Rossini-Festival. Meine Eltern haben mich öfters begleitet und dort Urlaub gemacht. In einem Jahr hatte meine Mutter eine Biografie über Pavarotti mit im Gepäck, in der auch ein Bild seines Sommerhauses in Pesaro abgebildet war. Mama und ich saßen am Strand und plötzlich zeigte sie auf ein Haus und sagte: „Das ist ja das Haus von Pavarotti. Geh doch mal hin und klingele mal.“ Ich wollte erst nicht, habe es aber letztlich doch gemacht und habe geschellt. Pavarotti öffnete die Tür, ich stellte mich vor und sagte: „Ich möchte für Sie singen.“ Doch er sagte, ich solle ihm vorab eine kurze Bewerbung schicken und ein paar Tage später bekam ich durch seine Sekretärin eine telefonische Einladung nach Pesaro zum Unterricht zu kommen. So war ich ein paar Mal bei Pavarotti, in seinem Sommerhaus und auch in seinem Haus in Modena (Pavarottis Geburtsstadt), um einige Gesangsstunden zu nehmen. Und das alles unentgeltlich! Ich war nicht der einzige, den dieser freundliche, großzügige Ausnahmesänger unterrichtet hat.
Danach hatte ich lange einen Gesangslehrer in Mailand, Vittorio Terranovo. Ich war für zwie Produktionen in Passau engagiert und von dort aus war es immer eine Fahrt von fünf Stunden bei Wind und Wetter über die Alpen. Zum Glück begleitete mich meine jetzige Frau, Venezia, öfter, die ich in Passau kennen und lieben gelernt hatte. Venezia war Dramaturgin am dortigen Theater und sie ist auch der Grund, dass ich in Detmold gelandet bin und wir hier als glückliche Familie mit zwei Kindern leben.
Doch zurück nach Mailand zu Signore Terranova: Er war schon ein älterer Herr und wenn wir kamen, immer perfekt gekleidet im dreiteiligen Anzug. Er bewohnte in Mailand eine Wohnung in einem großen italienischen Stadt-Palais mit einem altersschwachen Aufzug aus Gusseisen, vor dem er uns immer in Empfang nahm. Er hat auch Juan Diego Flores ausgebildet und er wollte auch mich in diese Stimmfach bringen. Aber meine Stimme hat das letztlich nicht zugelassen, so bin ich kein Rossini-Tenor geworden. Was ja nicht heißt, dass ich einen Barbiere di Siviglia singen kann, aber meine Lieblingspartie ist das nicht.
KL: Und welche ist deine Lieblingspartie?
SC: Nadir in Les pêcheurs de perles (Die Perlenfischer) von George Bizet. Das ist das perfekte Fach für mich und die Partie sitzt wie für meine Gurgel gemacht.
KL: Was bedeutet dir Musik?
SC: Musik ist ein ganz wichtiger Teil meiner Selbst. Nachdem ich als Kind Pavarotti gehört hatte, wollte ich auf die Bühne, in andere Rollen schlüpfen und singen.
KL: Was Dir ja auch sehr gut gelungen ist, wenn man Deine Vita liest.
(Venezia wendet ein: „Die Kinder und ich sind oft sechs Wochen allein, weil Stefan weg ist und ich dann quasi alleinerziehend bin. Das ist der Preis für einen erfolgreichen Ehemann.“)
SC: Der Job ist schwierig genug. Ich bin wochen- manchmal monatelang in anderen Städten und fremden Ländern. Jetzt hat mich Corona matt gesetzt. Seit Mitte März 2020 sind mir alle Engagements abgesagt worden, darunter ein Debüt in Hongkong und in Toulon (Frankreich). Nun singe ich zu Hause und mache mit meinen Kindern Musik. Ich muss ja auch üben, damit ich bei Stimme bleibe und für den hoffentlich bald einsetzenden „Ernstfall“ vorbereitet bin – endlich wieder auf die Opernbühne! . Meiner Familie geht diese Überei manchmal fürchterlich auf die Nerven. Ihnen ist es zu laut und die ständigen Wiederholungen einzelner Passagen gefallen ihnen auch nicht. Nur meine kleine Tochter ist – noch – von ihrem singenden Papa begeistert. Aber ich bin als Sänger wie ein Leistungssportler: ich muss immer auf den Punkt fit sein. Das ist es auch, was mich in Corona-Zeiten so zermürbt hat. Da hatte man anfänglich noch Hoffnung, dass ein Engagement doch realisiert wird, hat sich vorbereitet, geübt, und dann fiel kurzfristig vor Produktionsbeginn alles platt und mir wurde abgesagt. Gefühlt habe ich mich wie ein Profi-Sprinter, der in den Startlöchern steht, auf den Startschuss wartet, das Adrenalin pumpt sich in seinen Körper, die Muskeln straffen sich, da hört er plötzlich den Satz: „Tut uns leid, wir müssen absagen.“ Sich aus diesem Tief wieder heraus zu motivieren, kostet erneut Kraft.
KL: Wie gehst du mit dem Zustand jetzt um?
SC: Es ist ja nicht so, dass das Singen nur ein Beruf für mich ist. ich habe das große Privileg, diesen Beruf ausüben zu können. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht (was widerum auch nach sich zieht, dass ich kein Hobby mehr habe (lacht)). Ich kenne Künstler, Kulturleute, die ihren Beruf, ihre Passion aufgrund der finanziellen Situation wegen Corona aufgegeben haben und jetzt plötzlich Parkettböden abschleifen, anstelle zu konzertieren. Aber ich gebe wegen einem Jahr Corona nicht meine Passion auf und ziehe einen sehr positiven Punkt aus dem vergangene Jahr: so viel Familien-Zeit hätte ich nie gehabt, wäre nicht Corona aufgelaufen. Ich bin zuversichtlich, dass sich bald wieder das Kultur-Rad drehen wird und dieses fürchterliche kulturelle Schweigen ein Ende hat!
KL: Hat die Kultur keine Bedeutung in Corona-Zeiten?
SC: Mich stimmt die Situation, die der Kultur in den letzten 15 Monaten zugewiesen wurde, zutiefst traurig. Die gesamte Branche wird in eine Ecke geschoben und degradiert zum Entertainment. Das ist für mich äußerst schmerzhaft! Wir sind nicht nur zur Unterhaltung da. Ich habe Kultur stets mit einem großen „K“ geschrieben verstanden. Kultur, mit all ihren Teilbereichen wie Oper, Schauspiel, Konzert, Museen, heißt für mich Spiegel der Gesellschaft. Kultur stiftet Identität. Bricht sie weg, oder wird stumm geschaltet, bricht auch die Identität für die Menschen weg und das ist es doch, wonach wir alle suchen.
Ich übe zur Zeit Mozarts Zauberflöte und da gibt es das Accompagnato mit dem Text:
„Es zeigen die Säulen, dass Klugheit und Künste hier weilen. Wo Tätigkeit thronet und Müßigang weicht.“ ich übe eine Partie, in der die Künste eine der wichtigsten Säulen einer Gesellschaft (die des Sarastro) darstellt. Das ist äußerst bitter, denn die derzeitige Realität und der Umgang mit Kultur in den letzten Monaten sah deutlich anders aus.
KL: Du hast ein reichhaltiges, vielfältiges Repertoire. Werfen wir einmal einen Blick darauf.
SC: Das ist ja das Schöne an dem Beruf, dass man sich immer wieder mit neuen Musikwerken beschäftigen darf. Natürlich sind auch darunter Werke, wie Mozart Don Giovanni oder seine Così , die ich nun schon sehr oft an verschiedenen Opernhäusern gesungen habe. Aber auch dem gewinne ich viel ab, denn erstens ändert sich immer die Regie, zweitens fühle ich mich weitaus freier, wenn ich eine Partie schon x-Mal gegeben habe. Dann kann man sich während der Vorstellung sehr frei bewegen und angemessen Musik machen. Manchmal entstehen dann diese zauberhaften Momente, in denen der Funke zum Publikum überschlägt und der ganze Raum wie in einem extatischen Flirren verweilt. Wenn dann der letzte Ton der Arie gesungen, der Applaus brandet, dann geht man sehr euphorisiert von der Bühne ab. In welchem anderen Beruf hat man sonst noch dieses wunderbare Privileg für seine Arbeit so beklatscht zu werden?! Daher denke ich, brauche ich im Privatleben auch wenig Applaus – den bekomme ich ja ausreichend auf der Bühne (lacht).
Aber zurück zu meinem Repertoire. Hierzu zählen Opern des Belcanto – z.B.
Bellini, Elvino in La Sonnmabula, Arturo in I Puiritani
Donizetti, Tonio in La fille du régiment und Nemorino in Elisire d’amore. Die Titelpartie in Gounods Faust ebenso wie etliche Rossini-Oper (Il barbiere di Siviglia, La gazza ladra und und und.
Und Französische Opern:
Auber, Alphonse in La musette de Portici
Bizet, Nadir in Les pêcheurs de perles und Don José in Carmen oder Melktal in Grétrys Giullaume Tell, dicht gefolgt von den großen romantischen, italienischen Opern:
Puccini, Rodolfo in La Bohème
Verdi, Fenton in Falstaff oder der Duca im Rigoletto.
Genauso aber auch moderne oder zeitgenössische Musiktheaterwerke:
Glass, Gandhi in Satyagraha
Ullmann, Harlekin und Soldat in Der Kaiser von Atlantis
Oder Operette:
Lehár, Prinz Sou-Chong in Das Land des Lächelns
Nicolai, Junker Spärlich in Die lustigen Weiber von Windsor
Offenbach, Paris in La Belle Hélène und Bobinet in La vie parisienne
Und immer wieder Mozart, der ist Balsam für die Stimme und stellt solche Anforderungen!
Don Ottavio in Don Giovanni
Tamino in Die Zauberflöte
Ferrando in Cosí fan tutte
KL: Was steht nächstens an?
SC: Nachdem 2020 alles abgesagt worden ist, bin ich in der wunderbaren Situation, dass mein Kalender für die Saison 2021/2022 ausgebucht ist. Ich habe einige Gala-Konzerte, darunter auch ein Konzert nur mit Verdi-Partien in Antwerpen. Dann bin ich mit drei Produktionen an der Oper in Koblenz: Mozarts Zauberflöte und Cosi fan tutte. Als dritte Oper im Bunde: Verdis Rigoletto. Ein Debüt für mich, auf das ich mich ganz außerordentlich freue. Außerdem bin ich wieder in der wahnsinnigen Inszenierung des Don Giovanni von Herbert Fritsch an der Komischen Oper Berlin.
Um die Person Stefan Cifolelli unseren Lesern näher zu bringen, stellten wir ihm einige persönliche Fragen.
KL: Ein paar Vorlieben: Bier oder Wein?
SC: Bier – da kommt das Belgische in mir durch!
KL: Kaffee oder Tee?
SC: Kaffee
KL: Großstadt oder Land?
SC: Beides. Aber ich bin mit der Kleinstadt Detmold sehr zufrieden. Ein ruhespendender Rückzugsort nach der Arbeit, die mich ja meist in Großstädte führt.
KL: Porsche oder Fahrrad?
SC: Porsche irgendwann.
KL: Regionale oder internationale Küche?
SC: Internationale, wobei ich immer die regionale Küche probiere, wenn ich z.B im Ausland singe. In Russe (Bulgarien) habe ich so ganz wunderbare Gerichte kennengelernt, von denen ich bis heute nicht weiß, was es war. Ich spreche kein Bulgarisch. Aber es schmeckte köstlich!
KL: Tatort oder Pilcher?
SC: Tatort. Nur der aus Münster.
KL: Bevorzugte Literatur?
SC: Künstler-Biografien
KL: Lieblings-Musik?
SC: Da bin ich vielfältig, nur gut muss sie sein. Natürlich klassische Musik, gerne Vokal, also Oper, Oratorium. Aber auch Jazz und gute Pop-Musik.
KL: Die liebsten Musiker und Komponisten?
SC: Pavarotti und Mozart
KL: Hast du Vorbilder?
SC: Luciano Pavarotti
KL: Mit wem würdest du gern musizieren oder singen?
SC: Yannick Nézet-Séguin, seit September 2018 GMD an der Met
KL: Gibt es Hobbys außerhalb der Kunst?
SC: Meine Frau und meine Kinder
Vielen Dank an den Tenor Stefan Cifolelli für das Interview.
Fotos: Annette Schäfer