Ein Gespräch mit Daniel Stabrawa, Geiger, Dirigent und Leiter des Detmolder Kammerorchesters
kulturinfo-lippe = (KL)
Venezia Fröscher-Cifolelli = VFC
Daniel Stabrawa, = (DS)
kulturinfo-lippe besuchte Daniel Stabrawa, im Büro des Detmolder Kammerorchesters in Detmold.
KL: Sehr geehrter Herr Stabrawa, wie kamen Sie zur Musik und zum Geige spielen?
DS: Das war mein ausdrücklicher Wunsch. Als ich fünf Jahre alt war, brachte mein Papa meinem älteren Bruder zum Nikolaustag eine Geige mit und als ich sie sah, war es um mich geschehen. Ich habe sie genommen und musste darauf spielen. Mein Vater hat mein Talent erkannt und mich gefördert. Mein Bruder hat mit mir angefangen, aber er hatte keinen Drang zu üben. Später hat er in einer Band erfolgreich Gitarre gespielt.
VFC : Sind ihre Eltern auch Musiker?
Nein. Mein Vater wollte Musiker werden, aber es hat nicht geklappt. Trotzdem war die ganze Familie musikbegeistert. Meine Mama hat als Erwachsene noch Mandoline gelernt, um gemeinsam mit uns musizieren zu können.
KL: Und wie ging es dann weiter?
DS: Dann kam ich in die Schule und in eine spezielle Förderklasse für Kinder mit musikalischer Begabung. Man hatte meinem Vater mitgeteilt, dass ich unbedingt in eine Musikschule gehen müsse. Mit dem Musik machen muss man ja früh beginnen. Dann wurde ich zur Bewerbungsprüfung eingeladen und sollte dort vorsingen. Ich aber sagte, dass ich nicht singen könne und habe es auch nicht. Aber auf der Geige vorgespielt habe ich und bin dann direkt für das zweite Schuljahr aufgenommen worden. Von da an wurde es mit der Musik ernster. Da war ich sieben Jahre alt.
Ich habe damals (wie heute) keine Alternative für mein Leben gesehen als Musik. Damals fiel die Entscheidung für die Musik allerdings ohne viel darüber nachzudenken aus, was mir das bringen wird. Trotzdem habe ich erfolgreich die Schule beendet, ebenso das Gymnasium. Zu der Zeit habe ich schon Konzerte und Wettbewerbe gespielt. Dann war ich an der Hochschule in Krakau, meiner Geburtsstadt. Ich wollte mein Studium in Wien fortsetzen. Dafür musste ich allerdings damals mein Examen in deutscher Sprache ablegen, um eine Reiseerlaubnis zu bekommen. Die Fragen zu meinem Ausreiseantrag des Ministeriums waren allerdings derartig absurd, dass ich nicht bereit war, sie zu beantworten. Also bin ich in Krakau geblieben und habe dort mein Studium beendet. Anschließend durfte ich fünf Jahre lang als Konzertmeister im Krakauer Rundfunkorchester mitwirken. Das war eine schöne Zeit! Damals kursierte bereits die Information, dass in Berlin die Position eines Tuttisten vakant sei. Ich habe mich einfach darauf beworben und es kam prompt eine Einladung zum Probespiel. Allerdings wurde erst ca. ein Jahr später mein Reiseantrag genehmigt und ich durfte nach Westberlin reisen, um das Probespiel zu absolvieren. Ich wurde genommen und begann mit 28 Jahren bei den Berliner Philharmonikern … der Rest ist Geschichte.
Zu dieser Zeit war ich schon verheiratet; wir hatten eine kleine Tochter. Noch am Telefon in Berlin habe ich damals meiner Frau die Frage gestellt, ob sie nach Berlin mitgehen würde und sie hat kurzentschlossen zugestimmt. Hätte meine Frau sich nicht für Berlin entschieden, wäre ich zurück nach Krakau gegangen. Ich hatte nämlich auch die Option, bei den Warschauer Philharmonikern als Konzertmeister anzufangen. Das war genau vor 40 Jahren.
KL: Da haben wir ja genau an Ihrem Jahrestag dieses Interview gemacht?! Wunderbar!
DS: Meine Familie kam am 7. Dezember 1980 nach Berlin, ein schneereicher, eiskalter Winter. Da existierte noch der Eiserne Vorhang und die DDR. Freunde aus der Schweiz, die ein größeres Auto hatten und zu Besuch in Polen waren, haben meine Frau und die Kinder nach Berlin mitgenommen. Sie kamen über die Grenze „Drei Linden“. Dort erwartete sie eine recht unangenehme Situation: Die Grenzsoldaten begriffen nicht, warum man durch die Zone nach Westberlin einreisen wollte und war nicht bereit, das Auto samt Insassen passieren zu lassen. Als er aber den Pass meiner jüngeren Tochter nahm und sah, dass sie just an diesem Tag Geburtstag hatte, ließ er sie ohne großartige Kontrolle fahren. Meine zwei Töchter waren drei und ein Jahr alt als sie nach Berlin kamen. Meine Frau, die in Krakau Stadtführungen auch in deutscher Sprache machte, konnte bei weitem besser Deutsch sprechen als ich und hatte zumindest sprachlich keine Probleme in einem anderen Land. Meine ältere Tochter hat eine Ballettausbildung gemacht und ein Jahr in Florenz professionell getanzt. Mit 17 Jahren ging sie zurück nach Berlin und entschied, mit dem Tanz aufzuhören und einen anderen Berufsweg einzuschlagen. Sie studierte in Amerika Medizin und lebt heute mit ihrer Familie in den USA. Meine zweite Tochter lebt mit ihrer Familie in Dänemark. Das ist wenigstens nicht so weit! Man sieht sich zwar selten, aber regelmäßig. Vor allem werden meine Enkelkinder immer größer – daran sehe ich, wie die Zeit vergangen ist.
KL: Herr Stabrawa Sie haben Herbert von Karajan noch kennengelernt, prägt das?
DS: Wir haben sechs Jahre zusammen musiziert. Ja, das prägt absolut. Das war eine der wichtigsten und schönsten Erfahrungen, die ich erleben durfte, den magischen Meister am Pult! Obwohl meine Kollegen, die ihn schon längere Zeit als Dirigenten vor sich hatten, teilweise anderer Meinung waren. Zu meiner Zeit als junger Konzertmeister bei den Berlinern war er schon alt, aber er hatte dennoch Phantasie und Ausstrahlung.
Kl: Karajan war ja auch fotografisch sehr interessiert, man denke nur an die Orchestervideos.
DS: Das war vielleicht der Haken. Er wollte alles machen, weil er spürte, dass er die Macht hatte. Er wollte alles entscheiden, nicht nur die Musik, sondern auch die Regie. Bei diesen Filmen habe ich auch mitgewirkt. Wenn ich die nun sehe, muss ich doch schmunzeln, denn die Filme wirken absolut nicht natürlich. Die Orchestermusiker waren so ausgerichtet, dass alles sehr gestellt aussah. Karajan hat irrsinnig viel Geld aus eigner Tasche in diese Filmaufnahmen investiert. Bei einer Filmaufnahme, wir spielten Beethovens 5. Sinfonie, habe ich mich ein bisschen bewegt. Das sah er sofort und sagte zu mir: „Herr Stabrawa, Sie sind ein guter Konzertmeister, aber versuchen Sie sich bei dem Film gar nicht zu bewegen.“ Wir konnten ihn in dieser Sache nicht so ganz ernst nehmen, aber wir haben ihn akzeptiert, denn er war der große Meister.
VFC: Sie waren damals jung und dann steht Ihnen gegenüber auf dem Dirigentenpult eine so renommierte Dirigenten-Größe. Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen oder gab es gar nichts, mit dem Sie umgehen mussten?
DS: Es gab schon Unstimmigkeiten zwischen ihm und dem Orchester. Mich hat Karajan aber immer unterstützt. Nicht zuletzt, um darüber zu gewährleisten, dass er bestimmen konnte und nicht das Orchester. Ich war jung, war begeistert von der Musik und war auch ein bisschen naiv. Ich wusste nicht, dass man auf dieser, der höchsten Ebene der Musik, auch Politik macht. Ich habe damals gedacht: „Lass sie doch machen, was sie wollen, ich mache meine Musik.“
VFC: Haben Sie das beibehalten, denn es kamen ja auch andere Dirigenten?
DS: Nein, habe ich nicht. Mit der Zeit wird man nicht nur älter, auch abgeklärter. Wenn man 50, 60 Jahre alt ist, sieht man die Dinge differenzierter und kann besser beurteilen, was gut oder schlecht ist, wo man die Dinge vielleicht lieber so belässt wie sie sind und wo man sich unbedingt einmischen sollte. Als junger Konzertmeister hatte ich eine starke Meinung über alles und ich scheute keine Auseinandersetzungen mit den Dirigenten, egal wer da vorne stand oder wie alt er auch war. Einmal fragte einer, wie alt ich sei. Ich sagte: „30 Jahre.“ Er sagte: „Sie sind im Alter meiner Tochter.“ Ich erwiderte: „Das interessiert mich nicht. Hier auf der Bühne, ohne das Orchester sind Sie machtlos. Hier auf der Bühne sind wir Partner, da ist das Alter, ob 30 oder 70, ganz gleich.“
VFC: Das Schöne ist, dass man diese Einstellung jetzt im Umgang mit dem DKO merkt. Sie sind den jungen Musiker*innen kollegial zugewandt und begegnen ihnen sehr respektvoll und freundlich auf Augenhöhe.
DS: Durch den Umgang mit den großen Dirigenten, Pianisten, Geigern, Sängerinnen und Sängern dieser Welt habe ich viel über Musik, aber auch das Musikmachen gelernt. Das gebe es jetzt gerne und mit Begeisterung an die jungen Musikerinnen und Musiker weiter. Wenn man nur in der Provinz bleibt, ohne mit der Weltspitze zu arbeiten, kann man sich nicht entwickeln. Oft sind es nur kleine Gespräche und Hinweise oder nur ein Wort oder Blick und plötzlich versteht man Musik.
KL: Das war eine gute Entscheidung, denn Sie haben aus dem Orchester ein ganz besonderes gemacht. Haben Sie eine zusätzlich ein Studium als Dirigent absolviert?
DS: Ein Konzertmeister müsste eigentlich dirigieren können. Mendelsohn hat das Dirigat eingeführt, vorher hatte der Konzertmeister die Leitung eines Orchesters inne. Man hatte mich gefragt, ob ich in Bromberg in Polen Chef werden wollte. Ich sollte mit dem Orchester eine Sinfonie von Haydn dirigieren. Das war ein Schock für mich! Das Orchester klang dort vorne vor dem Orchester stehend ganz anders, als ich das von meinem Konzertmeisterstuhl aus gewohnt war. Andererseits habe ich die wertvolle Erfahrung gemacht, dass man als Dirigent eigentlich gar nichts machen muss. Die Kolleginnen und Kollegen werden die Musik schon spielen. Wenn man mit der dirigentischen Bewegung etwas beim Orchester erreichen will, muss man die technische Komponente des Dirigierens lernen bzw. studieren. Übrigens hat man diese Frage, wo er das Dirigieren studiert hat, einmal Christian Thielemann gefragt und er hat geantwortet: „Studieren?! Wusste ich gar nicht, muss man das studieren?“ Aber je mehr ich dirigiere, desto mehr weiß ich, dass Dirigieren anspruchsvoll ist. Grundsätzlich sehe ich es so, dass man als Dirigent während eines Konzertes nur korrigierend einschreiten muss, den Rest machen die Orchestermusiker*innen unter sich aus. Sie sind ja ebensolche Musikprofis wie ich als Dirigent. Bei der vorab laufenden Probenarbeit ist dies allerdings anders. Hier gebe ich sehr wohl meine interpretatorische Vorstellung von der Musik verbal an das Orchester weiter. Das Publikum wiederum bewertet einen Dirigenten meist an seinen Bewegungen: je mehr, je besser. Aber das ist nach meinem Verständnis nur „Show“, wenn der Dirigent überbordende Köperbewegungen auf dem Podest vollführt. Diese sind meist nicht nötig. Interessant ist, dass sich die Art des Dirigierens und die damit verbundene Körpersprache stark am persönlichen Charakter orientiert. Ich habe über die Jahre festgestellt, dass die nordeuropäischen Dirigenten meist recht „nüchtern“ dirigieren, während z.B. bei Südamerikanern sehr viel fast tänzersicher Köpereinsatz zu Tage tritt und bei den Italienern sehen die Bewegungen ungemein schön aus.
Um die Person Daniel Stabrawa unseren Leserinnen und Lesern näher zu bringen, stellten wir ihm einige persönliche Fragen:
KL: Was steht zurzeit oder auch künftig an?
DS: Das weiß niemand. Hauptsache die Gesundheit spielt mit.
KL: Bier oder Wein?
DS: Bier, zum Genießen.
KL: Kaffee oder Tee?
DS: Kaffee, zum Genießen.
KL: Großstadt oder Land?
DS: Beider maßen.
KL: Porsche oder Fahrrad?
DS: Fahrrad.
KL: Regionale oder internationale Küche?
DS: Beides!
KL: Tatort oder Pilcher?
DS: Pilcher? Tatort!
KL: Der liebste Film?
DS: Aus Frankreich muss er sein!
KL: Bevorzugte Literatur?
DS: Alles ist interessant.
KL: Lieblingsmaler?
DS: alle Holländer.
KL: Das liebste Stück?
DS: Klavierkonzerte von Brahms.
KL: Gibt es Hobbys außerhalb der Kunst?
DS: Handwerk.
Vielen Dank an den vielseitigen Künstler für das Interview.
Biografie
Seit der Saison 22/23 ist Daniel Stabrawa Künstlerischer Leiter des Detmolder Kammerorchesters. Ein glücklicher Umstand für das DKO, war der Geiger bis 2021 als Konzertmeister bei den Berliner Philharmonikern fest eingebunden. Nach 37 Jahren auf der Position des Primarius dieses renommierten Orchesters gibt Daniel Stabrawa nun seine langjährigen Erfahrungen an die ihm nachfolgenden Orchestergeneration weiter.
Daniel Stabrawa konzertierte unter Leitung der namhaftesten Dirigenten der Musikbranche darunter Herbert von Karajan, Claudio Abbado, Sir Simon Rattle sowie Kirill Petrenko auf allen bekannten Konzertbühnen der Welt und war auch als Solist immer wieder zu hören. So führte er das 1. Violinkonzert von Karol Szymanowski mit den Berliner Philharmonikern als erster Künstler außerhalb Polens auf und erweiterte zusammen mit Sir Simon Rattle das Repertoire des Orchesters auch mit Szymanowskis 2. Violinkonzert. Mit Violinkonzerten von u.a. Prokofjew, Weill, Mozart und Beethoven spielte der Geiger unter Dirigenten wie Kurt Sanderling, Maris Jansons, Ivan Fischer und Herbert Blomstedt.
Als Kammermusiker ist er als Primarius des Philharmonia Quartett Berlin aktiv. Bereits zwei Mal ist das Quartett mit dem Deutschen Schallplattenkritiker Preis und mit dem ECHO-Klassik ausgezeichnet worden. Zu Stabrawas weiteren Kammermusikpartnern zählen u.a. Yefim Bronfman, Murray Perahia, Emmanuel Ax, Rafal Blechacz und Nigel Kennedy, mit dem er zusammen als Solist die Doppelkonzerte von Vivaldi und Bach aufnahm (EMI). Seine Ehefrau Elzbieta Stepien-Stabrawa ist seit ・er 30 Jahren seine einzige Pianistin, mit der er kammermusikalisch bei zahlreichen Tourneen auftrat.
Als Dirigent war Daniel Stabrawa neun Jahre Chefdirigent des polnischen Kammerorchesters Capella Bydgostiensis (Bromberg). Mit dem Orchester spielte er zahlreiche CD-Aufnahmen ein, darunter mit dem Oboisten Albrecht Mayer als Solisten.
In der Rolle eines Tutors bei Meisterkursen und als Juror bei verschiedenen Wettbewerben sieht es Stabrawa als seine Aufgabe, den wahren Wert des Instrumentalspiels zu vermitteln: Musik machen!