Wir trafen Katharina Torwesten zu einem Interview im Landestheater Detmold
kulturinfo-lippe = (KL)
Katharina Torwesten = (KT)
Biografie:
„Nicht wie der Mensch sich bewegt, sondern was ihn bewegt‘, dieser Ansatz von Pina Bausch spricht mir aus der Seele und ist die Kernfrage meiner Ballette. Tanz ist für mich kein rein ästhetisches Phänomen, sondern eine Bewegungssprache, die wie eine Lupe den seelischen Zustand eines Charakters vergrößert und sichtbar macht.“ (Katharina Torwesten)
Katharina Torwesten wurde in Münster geboren. Nach dem Abschluss des Studiums in Hannover mit der staatlichen Bühnenreifeprüfung und pädagogischem Diplom war sie viele Jahre als Tänzerin an verschiedenen deutschen Bühnen wie Bremerhaven, Münster und Brandenburg engagiert und begann im Rahmen von „Junge-Choreografen-Abenden“ ab 1996, eigene Stücke zu kreieren. Nachdem sie deutschlandweit lange als Gastchoreografin gearbeitet hatte, trat sie 2008 ihre erste Stelle als Ballettdirektorin am Landestheater Coburg an. Zwei Jahre später wechselte sie in derselben Funktion an das Schleswig-Holsteinische Landestheater, wo sie zehn Jahre die Ballettcompany leitete. Zur Spielzeit 2020/21 wurde sie ans Landestheater Detmold geholt. Hier hat sie in der von der Pandemie geprägten ersten Saison neben einigen Digitalproduktionen den zweiteiligen Ballettabend „We Will Dance: Sacre!“ choreografiert. Aktuell ist der von ihr choreografierte Ballettabend „Der Glöckner von Notre Dame“ zu sehen.
KL: Wie kamst Du überhaupt zum Tanz?
KT: Ich lernte mit großer Begeisterung sowohl das Tanzen als auch das Geigenspiel und in der Choreografie sah ich die Möglichkeit, die Musik mit der Bewegung zu vereinen und so ein akustisches Phänomen in ein visuelles umzuwandeln. Mein Körper wurde das Instrument, mit dem ich Musik sichtbar machte. Es ist ein wahnsinnig harter Beruf und wenn man ihn nicht mit Feuer und Leidenschaft macht, dann sollte man besser etwas anderes machen.
KL: Bist Du vorbelastet durch Dein Elternhaus?
KT: Nein, ganz und gar nicht, meine Eltern sind Rechtsanwälte. Allerdings spielten Kunst und Kultur bei uns eine große Rolle, Literatur, Theater, Musizieren waren selbstverständliche Inhalte unseres Alltags.
KL: Welchen Bezug hast du zu dieser Region?
Das Lipperland kenne ich schon aus meiner Kindheit. Meine Eltern hatten einen umgebauten Hühnerstall als Wochenendhaus auf einem Bauernhof bei Bösingfeld. Ich habe die schönsten Erinnerungen an diese Zeit. Wir Kinder haben im Matsch gewühlt und Würmer aus der Erde gezogen. Das hat mich sehr geerdet und ich glaube auch, dass davon ein Teil in meine Choreografien geflossen ist und immer noch fließt.
Mit den Stiefeln im Schlamm und
mit dem Kopf in den Sternen
ist eine gute Grundlage für die Kunst, aber auch für das Leben an sich.
KL: Was bedeutet Dir der Tanz?
KT: Tanz ist meine Berufung, meine Sprache, meine intensivste Möglichkeit, mich mit meinen Mitmenschen zu verbinden. Ich kann Menschen mit meinen Choreographien berühren, wie mit nichts anderem. Tanz ist für mich aber auch etwas ganz Selbstverständliches. Wir sollten alle viel mehr tanzen!
KL: Vielleicht fangen wir – auch für unsere Leser – ganz einfach an. Was macht eine Choreografin genau?
KT: Eine gute Choreographin macht Musik sichtbar, erzählt Geschichten, löst sich von Geschichten, denn auch das Abstrakte hat große Kraft. Mein Ideal ist eine verständliche Tanz-Sprache auf höchstmöglichem Niveau. Ich lese Partituren, literarische Vorlagen, setze mich mit Musik auseinander, schreibe Libretti, entwickle mit Kostüm- und Bühnenbildnern ein Gesamtkonzept, diskutiere mit Dirigenten, probe mit meiner Company die zuvor entwickelten Choreografien und vieles mehr.
KL: Wechseln die Tänzer/innen oft?
KT: Man wird im Ballett sehr schnell <alt> und das schon so ab dem 30. Lebensjahr. Wenn ich einen jungen Tänzer oder eine Tänzerin mit Mitte Zwanzig engagiere, kann es sein, dass die Arbeit schon nach 5 oder 6 Jahren vorbei ist. <So ab 30 ist jedes Jahr Gnade>, sagen wir, wie beim Profifußball. Wir haben dadurch eine naturgegebene Fluktuation. Aber dass jemand freiwillig aus der Company ausscheidet, habe ich abgesehen von Alter oder Verletzungen in 15 Jahren, in denen ich Ballettchefin bin, sehr selten erlebt. Noch seltener entscheide ich, mich von jemanden zu trennen, wenn er oder sie nicht gut genug ist oder künstlerisch so gar nicht in die Company passt. Ansonsten bin ich ein Freund von einer langfristigen Entwicklung, in der man sich immer besser versteht und immer tiefer in den Prozess der Entwicklung eintaucht. Aus dem Grund habe ich aus Flensburg meine fünf besten Companymitglieder mitgebracht.
KL: Nach welchen Kriterien suchst Du Deine Tänzer aus?
KT: Es gibt ein Vortanzen mit klassischem Tanz, dann wird ein Pas de deux abgefragt, bei den Frauen Spitzentanz, außerdem Improvisation und etwas Modernes, was sie selbst vorbereitet haben. Ganz wichtig ist auch ein Gespräch, das erzählt mir sehr viel über den Menschen, den ich vor mir habe und wie der Mensch als Künstler tickt, denn ganz voneinander trennen kann man das nicht. Die Person muss ja in die Company passen, denn wir arbeiten auf engstem Raum zusammen. Deshalb muss es auch menschlich passen, wenn nicht, ist das eine Katastrophe, das kann einen ganzen Arbeitsprozess zum Erliegen bringen.
KL: Woran arbeitest Du aktuell?
KT: Am „Dschungelbuch“, einem Tanztheater für die ganze Familie. Wir wollen diese zauberhafte Geschichte von Rudyard Kipling auf zwei Ebenen zeigen, sodass sowohl das Kinderauge als auch Erwachsene Freude an diesem schönen Thema haben. Das kommt im Februar im Sommertheater zur Aufführung, soll aber später auf die große Bühne.
[Um die Person Katharina Torwesten unseren Lesern näher zu bringen, stellten wir ihr einige persönliche Fragen.]
KL: Dein größter Erfolg?
KT: Ich finde, Erfolg ist ein sehr individueller Begriff. Es ist ein Unterschied, was das Publikum oder die Kritiker als Erfolg wahrnehmen, und was ich als Erfolg erlebe. Um ein Beispiel zu geben: Wenn zwei Tänzerinnen, die sich vorher als Konkurrentinnen sahen, während des Probenprozesses plötzlich kooperieren, dann ist das für mich ein Erfolg. Diese inneren Prozesse sind eigentlich die großartigsten Momente in meinem Beruf. Nach solchen Erlebnissen gehe ich sehr glücklich nach Hause
KL: Wie hast Du die Coronazeit letztes Jahr überstanden?
KT: Ich habe Vorträge gehört, ganz intensiv Geige geübt, bis zu sechs Stunden am Tag. Ich bin in einem Kinderheim Putzen gegangen, denn ich wollte nicht einfach rumsitzen. Ich war froh, dass ich weiter meine Gage bekam und wollte der Gesellschaft etwas zurückgeben. Das war eine beeindruckende Erfahrung. Ich habe gemerkt, wie unterschiedlich man als Mensch wahrgenommen und behandelt wird, je nachdem, in welcher „Rolle“ man sich durchs Leben bewegt. Die gleiche Erfahrung machte auch mein Geigenlehrer, ein sehr guter Künstler, der sich durch die Coronazeit als Reinigungsmann geschlagen hat. Er sagte, es wäre so erstaunlich gewesen, wie anders man angeschaut würde, falls man überhaupt angeschaut würde, wenn man mit Plastikhandschuhen auf der Treppe steht und nicht mit dem Instrument in der Hand auf der Bühne.
KL: Hast Du einen Lieblingsroman?
KT: Als Kind war es <Der kleine Prinz>, da war ich 11. Irgendwann werde ich ihn auch choreografieren. Ansonsten liebe ich die Klassiker, weil sie zu Recht Klassiker sind.
KL: Dein liebster bildender Künstler?
KT: Viele, z. B. Ernst Barlach, dessen Plastiken ich sehr mag.
KL: Dein liebster Theater-Choreograf?
KT: John Neumeier und Boris Eifman sind meine Favoriten.
KL: Dein liebstes Theaterstück?
KT: Z.B. Faust. Schauspiele von Shakespeare und Goethe, ob ihrer Tiefe. Natürlich mag ich auch die Oper. Ich liebe Theater!
KL: Die sympathischste Frauenrolle?
KT: Schwester Marguerite aus dem Film „Marie Heurtin“ (deutsch: „Die Sprache des Herzens“)
KL: Die schurkischste Männerrolle?
KT: Richard III und Jago.
KL: Wenn Geld keine Rolle spielen würde – wen würdest Du mal gerne als Tänzer/in holen?
KT: Es sind keine einzelnen Personen. Ich würde meine wunderbaren Tänzer und Tänzerinnen behalten und noch einmal so viele dazu engagieren wollen, dann hätte ich eine große Company, mit der ich mir alle Choreografenträume erfüllen könnte.
KL: Dein schönstes Theatererlebnis der letzten Monate?
KT: Unsere erste Premiere nach dem langen Lockdown.
KL: Ein paar Vorlieben: Bier oder Wein?
KT: Rotwein.
KL: Kaffee oder Tee?
KT: Kaffee.
KL: Großstadt oder Land?
KT: Land.
KL: Porsche oder Fahrrad?
KT: Fahrrad.
KL: Regionale oder internationale Küche?
KT: Regionale Küche.
KL: Tatort oder Pilcher?
KT: Weder noch.
KL: Der liebste Film?
KT: Wie oben schon gesagt, „Marie Heurtin“, „La Strada“, Charlie Chaplins Filme und viele mehr.
KL: Bevorzugte Literatur?
KT: Klassiker.
KL: Der liebste Komponist?
KT: Bach.
KL: Gibt es Hobbys außerhalb der Kunst?
KT: Geige, Lesen, Wandern und Vögel beobachten.
Vielen Dank Katharina Torwesten für das Interview.