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Ein Gespräch mit KARLA ENRÍQUEZ, Managerin und Geigerin des Ensembles Boulevard Baroque
kulturinfo-lippe = (KL)
Karla Enríquez = (KE)
kulturinfo-lippe traf die Geigerin in Detmold. Karla Enríques gab kulturinfo-lippe ein Interview.
KL: Wie kommst Du nach Detmold?
KE: Ich bin gebürtig aus Mexiko, lebe nun schon seit 12 Jahren in Detmold. Ich habe an der Hochschule für Musik Detmold Geige studiert und fühle mich in dieser Stadt sehr wohl. Detmold ist mein Zuhause geworden.
KL: Wie kamst Du zur Musik und zum Geige spielen?
KE: Ich komme aus einem Elternhaus, das eigentlich wenig bis gar keine Berührungspunkte mit klassischer Musik hatte. Mein Großvater hatte aber einen Fernseher, ein altes schwarz/weiß-Röhrengerät. Jeden Sonntag, wenn wir ihn besuchten, lief dort die Übertagung eines klassischen Konzertes. Allerdings ohne Ton! Die bewegten, tonlosen Bilder die ich dort als Kind sah, faszinierten mich und ich verleibte mich in die Geige, weil ihr Spiel so elegant aussah.
Ich wollte auch Geige lernen und so meldeten mich meine Eltern in der hiesigen Musikschule in Monterrey an. Allerdings hatte man keine kleine Geige für mich übrig und ich sollte daher warten, bis ich größer sei. Ich war damals fünf Jahre alt. Man bot mir Glocken und eine Blockflöte an, aber ich wollte Geige spielen! Als man allerdings mein Talent in Kombination mit meinem starken Willen erkannte, vor allem mein absolutes Gehört entdeckte, setzte man alles daran, mir eine kleine Geige zu besorgen und ich konnte Unterricht nehmen. Als nach einiger zeit meine Eltern den Unterricht nicht mehr finanzieren konnten, wurde ich sogar kostenlos unterrichtet, wofür ich meiner damaligen Lehrerin und der Musikschule bis heute sehr dankbar bin.
KL: Was steht zurzeit gerade an? Es wird, glaube ich, sehr interessant. Wie kommst Du auf Christina von Schweden?
Das Ensemble hat eine Förderung des Deutschen Musikrates und der Bundestiftung Neustart Kultur erhalten, um das Projekt realisieren zu können. Durch die Genderforschung sind wir auf eine sehr interessante Frau der Geschichte gestoßen: Christina von Schweden, die wir zum Schwerpunkt unserer vierteiligen Konzertreihe mit dem Titel Accademia Reale genommen haben. Christina von Schweden wäre heutzutage ein Fall für die Boulevardpresse: sie war eine richtige Skandalnudel. Eine sehr spannende, schillernde Persönlichkeit! Sie hat den westfälischen Frieden unterzeichnet und damit den 30jährigen Krieg – das Schreckgespenst des 17. Jahrhunderts – beendet. Als kleines Mädchen verlor Christina ihren Vater, den König von Schweden, auf dem Schlachtfeld des 30jährigne Krieges und wurde mit sieben Jahren Thronerbin. Entsprechend wurde sie dafür erzogen, wie jeder männliche Herrscher auch, hat sie als Monarchin gute und schreckliche Dinge umgesetzt.
Für unsere Konzertreihe mit insgesamt vier Konzerten (eines in Mai 2022, drei in Herbst/Winter 2022) haben wir auch das traditionelle Konzertformat modifiziert und vor allem ist es uns als Barockensemble natürlich selbstverständlich, dass wir bei der Interpretation der Musik ihrer Zeit auch auf historischem Instrumentarium ganz im Sinne der historischen Aufführungspraxis musizieren. Es ist mir persönlich ein großes Anliegen, kein Urteil über einen Menschen zu fällen. Das gilt auch für Christina von Schweden. Wir berichten in unseren Konzerten über einzelne Lebensstation aus ihrem Leben mittels Musik, Moderation und Filmsequenzen und bieten darüber unserem Publikum einen Einblick in Christinas Leben – ohne allerdings ein Urteil abzugeben. Ihr Leben war so facetten- wie skandalreich und hierüber versuchen wir eine Verbindung zur heutigen Zeit herzustellen. Christinas Leben hält einiges bereit, was eine gute Serie auf Netflix ausmachen würde: Macht, kriminelle Energie von Raub über Mord, Affären und Party!
KL: Wer ist das Ensemble Boulevard Baroque?
KE: Boulevard Baroque ist ein international besetzen Ensemble für Alte Musik, das sich hauptsächlich der Entwicklung neue Konzertformate widmet. Uns gibt es nun schon seit fünf Jahren, 2018 habe ich das Ensemble gegründet. Vor der Pandemie gaben wir schon Konzerten in der Region, dann brach leider erst einmal alles mit der Pandemie zusammen. Aber wir haben die Zeit der Zwangspause produktiv genutzt und unser nächstes Projekt mit Christina von Schweden auf die Beine gestellt. Unser erstes Konzert fand im Konzertsaal der herrlichen Abtei Marienmünster statt. Hierhin kehren wir nun für unsere noch anstehenden Konzerte am 23. Oktober und 10. Dezember zurück. Marienmünster ist für uns ein wichtiger Konzertort, denn die Abtei ist eine der wenigen Barockbauwerke in der Region, der sich auch als Konzertort eignet. Die Kombination aus historisch-informierter Musikinterpretation und einem aus der selben Zeit kommenden Konzertort ist uns sehr wichtig. Musik lebt mit ihrem Raum, in dem sie erklingt.
KL: Was erwartet euer Publikum, wenn sie euch im Konzert hören?
KE: Der Klang historischer Instrumente aus dem 16./17. Jahrhundert ist ziemlich eigenwillig und ähnelt wenig dem Klang heutiger moderner Instrumente und Orchester. Das Instrumentarium auf dem wir spielen, ist ganz besonders. Wir spielen mit „nackten Geigen“, also ohne Kinnhalter und ohne Schulterstütze, weil es die damals vor 300 Jahren noch nicht gab. Wir haben Geigen, die mit Darmsaiten bespannt sind und nicht mit Metallsaiten. Das erzeugt natürlich einen anderen Klang. Bei den modernen Bögen kann man immer mittels einer Schraube die Spannung der Haare und damit den Druck auf die Seite justieren. Bei uns, verwenden einige Musiker Steckbögen, d.h. die Haare werden am Ende des Bogens in den Frosch gesteckt – es gibt keinen Schraubmechanismus – und bleiben stets in derselben Spannung. Je nach Raumtemperatur arbeitet dann das Bogenholz und die Haare spannen/entspannen sich. Das heißt auch, dass jeder Raum, in dem wir musizieren, anders klingt. Dasselbe gilt für die Darmsaiten, die je nach Raumtemperatur und Wärmeeinwirkung – wie durch einen Bühnenstrahler – ihre Stimmung verändern. Deswegen müssen wir auch so häufig nachstimmen. Es ist eine ständige Herausforderung auf diesen alten Instrumenten zu spielen und die nehmen wir gerne an. Für mich persönlich sehe ich es als eine Liebesbeziehung zwischen der Barockmusik und mir. Der Klang der Barockinstrumente ist für mich viel intimer und natürlicher.
KL: Woher bekommt ihr euer Repertoire und das Notenmaterial?
KE: Das Notenmaterial ist nicht immer leicht zu beschaffen: Wir gehen in Bibliotheken und schreiben die Noten aus Faksimiles oder alten Autographen ab oder spielen auch direkt aus einer Faksimilekopie. Es ist viel Recherchearbeit, Augen und Ohren offenhalten – forschen. Barockleute sind den Jazzern ähnlich: sie probieren aus und improvisieren gern. Das macht unser Spiel so interessant.
KL: Du bist zugleich Geigerin und Managerin des Ensembles. Was ist für dich als Managerin die Intention des Ensembles?
KE: Als Managerin eines Barockensembles gehe ich mit viel Engagement, Herzblut und unheimlich viel Kraft an die Sache. In Detmold wird die Alte Musik und historische Aufführungspraxis eher stiefmütterlich behandelt. Wir wollen das Konzertrepertoire um die Barockmusik erweitern und unserem Publikum einerseits ganz neue Klangerlebnisse bieten, andererseits wollen wir die aktuelle Richtung der Alten-Musik-Szene, die in den Hauptstädten Europas zu hören ist, nach Detmold bzw. Ostwestfalen Lippe bringen.
KL: Karla, hast Du in Mexiko schon Barockmusik gemacht?
KE: Nicht wirklich. Ich hatte dort ein Blockflötenensemble mit meinem Bruder aber eher als Kinder-Hobby, als ich 12-13 Jahre-Alt war. Ich habe das große Glück gehabt die Professorin Monika Bovenkerk in Detmold kennenzulernen, die eine große Leidenschaft für Alte Musik hat. Sie hat mich damals als Assistentin genommen, bevor sie in die Rente ging. Durch sie bin ich nun zur Alten Musik nähergekommen und habe einige der Musikerinnen und Musiker kennengelernt, die heute gemeinsam in diesem Ensemble spielen. Ich habe gedacht, wenn es diese Musik in dieser Region nur „leise“ erklingt, dann müssen wir sie „lauter“ erklingen lassen!
Um die Person Karla Enríquez unseren Lesern näher zu bringen, stellten wir ihr einige persönliche Fragen.
KL: Ein paar Vorlieben: Bier oder Wein?
KE: Wein
KL: Kaffee oder Tee?
KE: Kaffee
KL: Großstadt oder Land?
KE: Beides
KL: Porsche oder Fahrrad?
KE: Beides nicht, aber auf jeden Fall Auto
KL: Regionale oder internationale Küche?
KE: Internationale Küche
KL: Tatort oder Pilcher?
KE: Tatort
KL: Der liebste Film?
KE: Beautiful Mind
KL: Bevorzugte Literatur?
KE: Italienische und Russische
KL: Gibt es Hobbys außerhalb der Kunst?
KE: Ich versuche mich als „Barista“, lerne Sprachen, tanze Tango und knoble Sudokus.
Vielen Dank an die vielseitige Künstlerin für das Interview.
Vita (kurze Version)
Karla Enríquez geboren in Merida, Mexiko begann im Alter von sieben Jahren mit Violinunterricht und setzte ihre musikalischen Studien nach dem Abitur in Deutschland an der Hochschule für Musik Detmold fort, wo sie bei Prof. Koh Gabriel Kameda (BA) und dem international anerkannten Auryn Quartett (MA) absolvierte. Neben ihrer künstlerischen und pädagogischen Ausbildung widmet sie sich der Musikvermittlung und -Management. Ihre Begeisterung und Leidenschaft für die Alte Musik wurde entfacht durch Musizieren mit Barockspezialisten wie Axel Wolf, Liv Heym, Monika Bovenkerk, Shalev Ad-El und Jana Semerádová und Unterricht bei namhaften Barockgeigern, wie Leila Schayegh, Veronika Skuplik, Rüdiger Lotter, Martyna Pastuszka, Luca Giardini u.a. Im Jahr 2018 gründete sie das Ensemble Boulevard Baroque, das sie seither aktiv und erfolgreich als Geigerin und Managerin gestaltet. Neben der professionellen Entwicklung des Ensembles, ist ihr wichtigstes Anliegen das soziale Engagement, besonders hinsichtlich Musikvermittlung und Integrationsförderung.