Rheingau Musik Festival: Alfredo Perl im Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg – Foto Klostermann
Ein Gespräch mit Alfredo Perl , dem Pianisten und Dirigenten und Leiter des Detmolder Kammerorchesters
kulturinfo-lippe = (KL)
Alfredo Perl = (AP)
kulturinfo-lippe besuchte Alfredo Perl im Büro des Detmolder Kammerorchesters in Detmold.
KL: Wir haben vor 10 Jahren schon einmal ein Interview gemacht. Jetzt legen Sie die Künstlerische Leitung des DKO in andere Hände und deshalb möchten wir gern mit Ihnen nach 13 Jahren Tätigkeit als Dirigent und Orchesterleiter, aber auch als Solist, ein Fazit ziehen.
AP: Mir kommt das noch gar nicht so lange vor mit dem Interview, fühlt sich nicht so an.
KL: Wollen Sie weiter dirigieren, denn Sie sind ein phantastischer Dirigent. Auch von der Optik her.
AP: Ich würde schon gerne weiter dirigieren. Dirigenten machen ja keine Geräusche, deshalb ist es ja ausschließlich die Optik. Irgendjemand hat mal gesagt: „Aus dem Dirigierstab ist noch nie ein Ton herausgekommen“. Es ist einerseits die Vermittlung der musikalischen Vorstellung, die man während der Probearbeit hat, aber es überträgt sich schon eine Form von Energie während des Konzerts, auch optisch.
KL: Zur Vorbereitung auf das Interview habe ich Sie bei Ihrem Abschiedskonzert mit dem DKO mit der Kamera beobachtet und viele Fotos gemacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Abend ein Besonderer war. Hat ein bisschen Wehmut mitgeschwungen?
AP: Ja, das war ein besonderer Abend. Aber Wehmut, nein, während des Konzerts nicht. Es gab einen geplanten Ablauf, der diesmal leider nicht eingehalten wurde, wegen technischer Fehler. Solche Dinge hauen schon auf die Konzentration, fürs Orchester einschließlich Dirigenten ist so etwas unglücklich. Nein, ich glaube Wehmut war es nicht, es war eher ein Gefühl, beim letzten Mal möchte man es besonders ausdrucksstark, ja, besonders gut machen. Dieses Gefühl, es gibt noch eine Chance…, das gilt nicht mehr. Es war ja auch ein lang vorbereiteter Abschied. Es gab verschiedene Stationen und es gab immer wieder mal Wehmut und wird es wahrscheinlich auch wieder geben.
KL: Wie kamen Sie zur Musik und zum Piano spielen?
AP: So weit wollen Sie zurück? Das ist ja schon 50 Jahre her! Musik war einfach immer bei uns zu Hause. Meine Mutter hat Klavier gespielt, das war das eine, das andere waren die Konzerte und Aufnahmen, die ich mitbekommen habe. Die haben meine Liebe zur Musik geweckt und bis heute gehalten. Ich habe sozusagen einfach vergessen, mit dem Musik machen aufzuhören.
KL: Wie kamen Sie nach Detmold?
AP: Ich habe mich auf eine Professur an der hiesigen Musikhochschule beworben und wurde genommen. Das war vor 16 Jahren. Außerdem war die Stelle des Künstlerischen Leiters des DKO vakant geworden, da Eckard Fischer aufgehört hatte. So kam ich vor 13 Jahren zur Position des Orchesterleiters.
KL: Das war eine gute Entscheidung, denn Sie haben aus dem Orchester ein ganz besonderes gemacht.
AP: Ich denke schon, dass es beim DKO eine wichtige Entwicklung, eine gute Entwicklung gegeben hat. Es geht ja auch darum, dass man die Möglichkeit des Mitspielens für die jungen MusikerInnen attraktiv macht. Das geht über die Projekte, die Programme und Solisten und über Dirigenten. Ich glaube in dem Bereich war es eine erfolgreiche Arbeit.
KL: Herr Perl, sind Sie durch die Arbeit mit dem DKO ebenfalls gewachsen?
AP: Die Arbeit als Dirigent hat auch meine Entwicklung am Klavier sehr geprägt. Ich habe einen erweiterten Zugang zum Klavierspiel bekommen, zumindest bei den Komponisten, die mich interessieren. Das hat mit Stimmführung zu tun, mit Polyphonie und den verschiedenen Schichten von Klängen. Da habe ich ein viel sicheres Gespür entwickelt. Das war früher auch schon da, aber es ist feiner geworden. Das merke ich besonders, wenn ich wieder ins Aufnahmestudio gehe und Solorepertoire auf dem Klavier aufnehme. Da ist eine neue Facette, die hinzugekommen ist.
Neben seinen Beethoven-Aufnahmen kann man Alfredo Perl mit Klavierwerken von Franz Schubert und Franz Liszt auf CD hören. Er nahm das gesamte Klavierwerk von Ravel für das Label Celestial Harmonies auf. Für BBC Television nahm er die 24 Preludes von Chopin auf DVD auf.Perl unterrichtet an der Hochschule für Musik Detmold im Fach Klavier und ist seit der Saison 2009/2010 künstlerischer Leiter des Detmolder Kammerorchesters. Dieses Jahr gibt er die Leitung ab.
AP: Es war ja immer die Kontroverse: Ist es gut, wenn ein Nicht-Orchestermusiker das DKO dirigiert? Mit diesen Zweifeln war ich von Anfang an konfrontiert und es gibt Menschen, die auch jetzt noch resistent gegenüber der Realität sind. Es gibt Personen, die sich ungern von einer Überzeugung verabschieden, aber ich glaube schon, dass das geht. Vielleicht könnte ein Streicher mehr ins Detail gehen, was die technische Komponente betrifft. In der Vermittlung meiner musikalischen Vorstellung hat es aber auch ohne Streichinstrument-Erfahrung bestens funktioniert. Das sind ja alles gute MusikerInnen beim DKO, die können es von sich aus umsetzen und vor allen Dingen, wenn sie jemanden vorne am Pult stehen haben, der das umsetzen kann, dann ist der Mangel an Streicherwissen, glaube ich, kein so großes Problem.
KL: Haben Sie eine Dirigentenausbildung gemacht?
AP: Nein habe ich nicht. Es ist immer schwierig, wenn man eine Pianistenkarriere und eine Professur an der HfM hat, parallel noch eine Dirigentenausbildung zu machen. Ich habe mich natürlich in dirigiertechnischen Dingen beraten lassen und war bis zum Schluss offen und dankbar dafür.
KL: Komponieren Sie selbst?
AP: Nein. Je mehr ich mich mit dieser herrlichen Musik beschäftige, umso weiter weg scheint diese Option für mich zu sein. Vielleicht kommt irgendwann so eine Inspiration. Man sollte nie „nie“ sagen.
KL: Gibt es Musik, die sie geprägt hat?
AP: Da gibt es einiges! Zum Beispiel das Tripelkonzert von Beethoven war immer etwas Besonderes für mich. Ich würde nicht behaupten, dass es Beethovens bestes Konzert ist, aber es hat mich in meiner Kindheit immens geprägt.
KL: Was steht zurzeit oder auch künftig an?
AP: Ich spiele im Juli in Finnland, im September dirigiere und spiele ich in Japan. Und ich habe schon eine Einladung, das Philarmonische Orchester in Santiago de Chile zu dirigieren. Es ist auch der momentanen Erschöpfung geschuldet, dass ich, wie sagt man so schön, keinen Kopf habe darüber nachzudenken. Das war die absolute Fokussierung auf dieses Ereignis. Ja, und dann wird sich zeigen was kommt.
Um die Person Alfredo Perl unseren Lesern näher zu bringen, stellten wir ihm einige persönliche Fragen.
KL: Ein paar Vorlieben: Bier oder Wein?
AP: Warum „oder“?
KL: Kaffee oder Tee?
AP: Beides trinke ich gerne. Es gibt Orte, an denen ich lieber Tee trinke und umgekehrt.
KL: Großstadt oder Land?
AP: Ich bevorzuge die Großstadt.
KL: Porsche oder Fahrrad?
AP: Porsche bin ich noch nicht gefahren.
KL: Regionale oder internationale Küche?
AP: Internationale Küche
KL: Tatort oder Pilcher?
AP: Tatort schaue ich mir gerne mal an!
KL: Der liebste Film?
AP: Fanny und Alexander von Ingmar Bergman.
KL: Bevorzugte Literatur?
AP.: Da bin ich nicht festgelegt. Zuletzt habe ich mit großem Vergnügen Hillary Mantels Trilogie über Thomas Cromwell gelesen.
KL: Lieblingsmaler?
AP: Rembrandt, Tizian, Duchamp. Und an Van Gogh kommt auch keiner vorbei. Marcel Duchamp ist eine Schlüsselfigur, die mein Verhältnis zur modernen Musik geprägt hat, obwohl er keine Musik geschrieben hat.
KL: Das liebste Stück?
AP: Wovon ich nicht müde oder satt werde, ist der Don Giovanni.
KL: Gibt es Hobbys außerhalb der Kunst?
AP: Ich lese gern und habe mir gerade einen kleinen Garten zugelegt. Außerdem gehe ich gerne spazieren.
Vielen Dank an den vielseitigen Künstler für das Interview.
Biografie
Seine in Santiago de Chile bei Carlos Botto begonnene Ausbildung setzte Alfredo Perl an der Kölner Musikhochschule bei Günter Ludwig und in London bei Maria Curcio fort. Als Preisträger einiger bedeutender Klavierwettbewerbe – er gewann den 1. Preis beim Internationalen Klavierwettbewerb in Montevideo und nahm unter anderem erfolgreich am Busoni-Wettbewerb in Bozen und am Wiener Beethoven-Wettbewerb teil – spielte er sich bald in die Riege der wichtigsten Pianisten seiner Generation.
1996/97 führte er alle Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven in London (Wigmore Hall), Santiago de Chile und Moskau auf. Gleichzeitig spielte er die 32 Sonaten und die Diabelli-Variationen für das Label Arte Nova (BMG) in Kooperation mit Radio Bremen ein. Konzerte wie Einspielungen stießen auf sehr positive Resonanz. So schrieb der Musikkritiker Joachim Kaiser: „[…] mit großer unabgenutzter Frische, mit äußerster Zärtlichkeit und unaffektierter Brillanz demonstrierte er tröstlich, wie wenig die Tradition erfüllten und erfühlten Beethovenspiels auch in unseren prosaischen Zeiten aufhört.“
Weitere Einspielungen für dasselbe Label waren drei CDs mit Klaviermusik von Liszt, Brahms-Sonaten gemeinsam mit dem Klarinettisten Ralph Manno, Beethoven-Sonaten gemeinsam mit dem Cellisten Guido Schiefen sowie Klavierkonzerte von Grieg und Szymanowski (die Sinfonie Nr. 4, auch „Sinfonia concertante“). Es folgten Einspielungen für das Label Oehms-Classics, darunter Beethoven-Sonaten gemeinsam mit dem Geiger Benjamin Schmid und Klavierkonzerte von Liszt. Im März 2010 erschien eine Doppel-CD bei Celestial Harmonies mit den drei späten Schubert-Sonaten.
Perl spielte in Konzertsälen wie dem Großen Musikvereinssaal (Wien), dem Concertgebouw (Amsterdam) und dem Teatro Colón (Buenos Aires), trat bei renommierten Festivals wie dem Rheingau Musik Festival, dem Schleswig-Holstein Musik Festival, den Schwetzinger Festspielen, dem Internationalen Musikfestival in Bath und den Londoner Proms auf und konzertierte mit zahlreichen namhaften Orchestern, darunter dem Gewandhausorchester (Leipzig), dem Orchestre de la Suisse Romande und dem London Symphony Orchestra. Seit 2007 ist er Professor für Klavier an der Hochschule für Musik Detmold, seit 2009 auch künstlerischer Leiter des Detmolder Kammerorchesters.
Im Jahr 2015 wurde Alfredo Perl gemeinsam mit Gerhild Romberger, Stephan Rügamer und dem Detmolder Kammerorchester mit dem ECHO Klassik in der Kategorie Kammermusikeinspielung des Jahres (Musik des 20./21. Jahrhunderts) ausgezeichnet.