Ein Abend der besonderen Art
Sie elektrisieren, sie inspirieren, sie beglücken: Auch im 2. Abonnementkonzert gewährten die Musiker des Detmolder Kammerorchesters (DKO) ihren Besuchern wieder abwechslungsreiche Einblicke in unterschiedliche musikalische Epochen sowie in die Vielseitigkeit ihres Repertoires. Seit sage und schreibe 70 Jahre gibt es dieses Orchester, gegründet von dem renommierten Geiger Tibor Varga im Jahre 1954.
Im Oktober 1954 gab das „ Kammerorchester Tibor Varga“, wie sich das Orchester nach seinem Gründer nannte, sein erstes Konzert. Damals bestand es aus Berufsmusikern und hatte einen anderen Status. Heute musizieren Studierende der Hochschule für Musik mit einer Spielfreude, die seit Jahrzehnten das treue Publikum, darunter viele Abonnenten, mitreißt, was aber mit Sicherheit an den Nachfolgern Tibor Vargas lag. Christoph Poppen war von 1989 bis 1995 künstlerischer Leiter des Detmolder Kammerorchesters und hat danach eine internationale Karriere als Violinist und Dirigent gemacht. Eckhardt Fischer hat das Orchester von 1996 bis 2010 geleitet und ist Professor für Violine an der Hochschule für Musik in Detmold. Professor Alfredo Perl gilt als einer der führenden Pianisten seiner Generation, er leitete das Orchester seit der Saison 2009/2010 und unterrichtet an der Hochschule im Fach Klavier. Heute leitet der Geiger Daniel Stabrawa, langjähriges Mitglied der Berliner Philharmoniker, dieses Ausnahmeorchester, das immer wieder überrascht.
Mitreißende Musizierfreude, ein lebendiger Umgang mit der Konzerttradition und kreative Educationprojekte zeichnet dieses Klangkörper, der heute international mit Studierenden und Absolventen der Hochschule für Musik Detmold besetzt ist aus, was sie an diesem Abend voller Musik vollauf bewiesen haben.
Mit dem Geiger Aram Badalian, der statt des Künstlerischen Leiters des DKO, Daniel Stabrawa, den Dirigentenplatz einnahm, hat ebenso am Pult für Abwechslung gesorgt. Der in Armenien geborene Geiger hat seit 2020 eine Professur für Violine an der Hochschule für Musik Detmold inne und ist seitdem regelmäßig im Detmolder Musik- und Konzertleben präsent. Im Zentrum des Konzertes, bei dem sich Aram Badalian als Solist und Dirigent in Personalunion präsentierte, stand neben Werken von Edward Elgar (1857–1934), Benjamin Britten (1913–1976) und Astor Piazzolla (1921–1992) das selten gespielte „kleine“ Violinkonzert in d-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Gerade einmal 13 Jahre alt war Felix Mendelssohn Bartholdy, als er sein erstes Konzert für Violine und Streichorchester komponierte e-Moll-Violinkonzert ist das 1822 entstandene Violinkonzert in d-Moll bis heute wenig bekannt. Mendelsohn war 13 Jahre alt als er diese Musik schrieb und genau so jung und voller Sturm und Drang interpretierten das junge Orchester und der wunderbar gefühlvoll aufspielende Solist diese wundervolle Musik, die das Publikum mit stürmischen Applaus belohnte. Gekennzeichnet von bemerkenswert reifer Satztechnik und durchzogen von jugendliche Frische und Unbekümmertheit, lässt das Frühwerk bereits jene Meisterschaft des bedeutenden Symphonikers der Frühromantik heraushören, die er in den darauffolgenden Jahren erlangen sollte. Auf den Kopfsatz mit Anklängen an Johann Sebastian Bach folgen ein lyrisches Andante voll des unvergleichlichen Mendelssohnschen Klangzaubers und ein virtuoses Rondo. Selten hört man einen so meisterhaften Musiker auf der Violine wie Aram Badalian an diesem Abend in der neu renovierten Konzerthalle, wo jede Klangfarbe perfekt herausgespielt wurde. Begleitet wurde er von einem gut aufgelegten Orchester mit großer Spielfreude und Präzision.
Serenadenfreuden
Der Titel deutet bereits an, was es mit Edward Elgars (1857–1934) Serenade für Streicher in e-Moll aus dem Jahr 1892 auf sich hat: Eine Serenade ist ein unterhaltsames Abendständchen unter freiem Himmel. Findet es im Falle des DKO auch jahreszeitlich bedingt in der Konzerthalle statt, so garantiert das Opus 20 des englischen Komponisten viele spielerisch-heitere Nuancen und feine elegische Melodielinien. Zugleich beweist die Streicherserenade, dass Edward Elgar durchaus mehr zu bieten hat als den Orchester-Bombast seiner allseits bekannten „Pomp and Circumstances Marches“, mit denen er später Berühmtheit erlangte.
Ganz und gar nicht naiv
Vom Titel der „Simple Symphony“ auf eine einfache oder gar naive Struktur des Werkes zu schließen, wäre weit gefehlt. Benjamin Brittens Komposition aus dem Jahr 1933 zeichnet sich nicht nur durch ihre formale Könnerschaft aus, sondern kommt zudem auch ausgesprochen klangreich und spielfreudig daher. Traditionell viersätzig angelegt, rahmen zwei bewegte Außensätze ein Pizzicato-Scherzo und einen ausdruckstiefen langsamen Satz ein. Satzbezeichnungen wie „Playful Pizzicato“, „Sentimental Saraband“ oder „Frolicsome Finale“ versprechen ungetrübtes Hörvergnügen.
Musikalische Großstadtszenen
Im Jahr 1725 schuf Antonio Vivaldi ein barockes Meisterwerk, mit denen er eine bis heute anhaltende Popularität erlangte: „Die vier Jahreszeiten“. Fast 250 Jahre später griff der argentinische Musiker Astor Piazzolla die Idee auf, und machte sich daran, in „Die vier Jahreszeiten von Buenos Aires“ („Las Cuatro Estaciones Porteñas“) das moderne Leben der argentinischen Metropole in Töne zu fassen. Konzertbesucher können sich darauf freuen, wie die jungen Musiker des DKO die große Bandbreite und Intensität dieses Werkes in der Bearbeitung für Streichorchester und Klavier von Mikhail Khokholov zum Leuchten bringen und atmosphärisch dichte Stimmungsbilder schaffen.
2. Abonnementkonzert
Das Programm
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847):
Konzert für Violine und Streichorchester d-Moll, MWV O 3 (1822)
Edward Elgar (1857–1934):
Serenade für Streicher e-Moll op. 20 (1892)
Benjamin Britten (1913–1976):
Simple Symphonie op. 4 (1934)
Astor Piazzolla (1921–1992):
Las Cuatro Estaciones Porteñas (Die vier Jahreszeiten von Buenos Aires)
Bearbeitung für Streichorchester und Klavier von Mikhail Khokholov
Detmolder Kammerorchester
Aram Badalian, Violine und Leitung