Über 25 Jahre Theater STATTGESPRÄCH in Lemgo
Das Theater STATTGESPRÄCH am Kulturbahnhof feierte vergangenes Jahr den 25. Geburtstag. Es ist längst eine Institution geworden, die das Kulturleben der Stadt ungemein verändert und bereichert hat. Theatergründer Frank Wiemann (58) schaut auf ein Vierteljahrhundert Erfolgsgeschichte zurück mit 69 Inszenierungen, in über 1300 Vorstellungen, darunter zwei Uraufführungen und 11 Deutschen Erstaufführungen. Die Besucherzahl liegt einschließlich der Gastspiele in anderen Städten bei über 200.000. Frank Wiemann ist verheiratete, hat drei Kinder und ist von Beruf Verwaltungsfachwirt bei der Stadt Lemgo. Nebenberuflich schlägt sein Herz für die Theaterarbeit, in der er als Schauspieler, Regisseur, Intendant und Bühnenbildner aufgeht.
Wie sind Sie zur Theaterarbeit gekommen?
Im letzten Jahr feiere ich auch mein 35jähriges Bühnenjubiläum. Mit dem Theaterspielen habe ich 1986 angefangen, als ich in Hamburg meine Ausbildung machte. Mit einer kleinen Truppe tingelten wir durch Kneipen und spielten politisches Kabarett. Bei einer Vorstellung entdeckte mich ein Regisseur vom „Theater an der Marschnerstraße“ und engagierte mich für meinen ersten Klassiker „Arsen und Spitzenhäubchen“. Später nahm ich Schauspielunterreicht und spielte Hauptrollen bei diversen Theatergruppen oder kleinere Rollen auf Profibühnen zum Beispiel beim Stadttheater Bielefeld oder dem Landestheater Detmold. Allerdings machte ich meine Leidenschaft nie zum Hauptberuf.
Wie kam es zur Gründung von STATTGESPRÄCH?
Als ich meine Arbeitsstelle damals in Lemgo antrat, spielte ich noch für drei Wochen ein Stück in Hamburg „en suite“- also jeden Abend. Mit dem Personalchef konnte ich vereinbaren, dass ich in dieser Zeit jeweils nur von 8 bis 14 Uhr im Büro arbeiten musste. Dann setzte ich mich in mein Auto, stand um 20 Uhr in Hamburg auf der Bühne und fuhr nachts wieder zurück. Nach Engagements auf der Freilichtbühne Bellenberg oder dem Lemgoer Theaterverein „die bühne“ merkte ich: Wenn ich eigene Vorstellungen verwirklichen will, muss ich mein eigenes Theater gründen, was ich dann mit Hilfe eines Privatkredits umsetzte. Am 28. September 1996 ging dann die erste STATTGESPRÄCH- Inszenierung im Lemgoer Bahnhof über die Bühne. Die Komödie „Doppelfehler“ von Berry Creyton war ein riesiger Erfolg. Seit dieser Zeit bieten wir sehr viel Theater in den Winterhalbjahren an. Im Gegensatz zu vielen anderen Amateurtheatern wollte ich mich aber nie auf nur eine Sparte -zum Beispiel Komödie- festlegen. Ein professioneller Anspruch ist mir wichtig und die Bandbreite reicht von ernsten bis zeitkritischen und witzigen Stücken
Wie kommen Sie an die Schauspieler?
Wir haben einen Pool erprobter Akteure, suchen aber immer neue Leute ab 26 Jahren, die sich auf der Bühne ausprobieren möchten. STATTGESPRÄCH hat mit Gastspielen viele Künstler nach Lemgo gelockt. Als semiprofessionelles Theater arbeiten wir momentan auch mit Profischauspielern wie Grit Asperger, Ulrich Holle oder Wolfgang von der Burg zusammen.
Wie gehen Sie bei der Regiearbeit vor?
In der Regel habe ich bereits vor Probenbeginn und bei der Besetzung eine klare Vorstellung vom Endergebnis. Die Rollen dürfen das Ensemble nicht überfordern. Ich versuche das Bestmögliche umzusetzen. Trotz der Mühen darf der Spaß nicht zu kurz kommen und in den Inszenierungen steckt jedes Mal viel Herzblut. Diese Leidenschaft spüren die Besucher. Ich habe mich sehr über die vielen Glückwünsche zum Jubiläum vom Ensemble, dem Publikum, Theaterverlagen und Sponsoren gefreut. Unser Erfolg hängt nicht nur von den Akteuren auf der Bühne ab, sondern auch von vielen Helfern hinter der Bühne. Daher ein riesiger Dank das Ensemble und meine Familie, die mich immer in den Endprobenphasen auffängt.
Wie hat sich die Pandemie auf die Theaterarbeit ausgewirkt?
Die neue Spielzeit steht unter dem Motto „ENTSCHEIDUNGEN“, die entscheidet, ob oder in welchem Format die Arbeit weitergehen kann. Das hängt dann aber von vielen Faktoren ab. Öffentliche Fördermittel haben wir bis jetzt noch nie bekommen. Das entstandene Corona-Defizit trage ich größtenteils selbst. Die Ungewissheit des jetzigen Corona-Herbstes birgt natürlich ein sehr großes Risiko für eine Spielzeitplanung. Ideelle Unterstützung erhalten wir glücklicherweise aber in dieser Spielzeit von der Stadt Lemgo. Die Pandemie hat uns dazu veranlasst unsere Vorstellungsanzahl von rund 50 Vorstellungen je Spielzeit auf 30 zu reduzieren. Auch wurden die möglichen Besucherplätze von 120 auf 80 gesenkt. Die Einlassvoraussetzungen am Vorstellungstag werden sich zukünftig nach der dann jeweils gültigen CoronaSchVO richten. Das sind alles Fakten, die wir sicherheitshalber einhalten. Auch wirtschafte ich so, dass wir uns nicht verschulden werden. Bei den allgemeinen großen Preissteigerungen möchte ich aber auch nicht mitmachen. Denn es kann nicht sein, dass ein Theaterbesuch nicht mehr für jedermann zahlbar ist.
Corona zehrt sehr an den Kräften. Ist das dauerhaft auszuhalten?
Nein. Lange Zeit werden wir die Einschränkungen nicht mehr akzeptieren können, da sonst sicherlich unsere Spielfreude leiden würde. Im aktuellen Spielplan habe ich für Herbst 2023 bereits die Komödie „Doppelfehler“ von Barry Creyton als Vorschau angekündigt. Nie haben wir seit meiner Theatergründung ein Stück zweimal inszeniert. Das kann also nach heutigem Stand bedeuten, dass ich eine Klammer setzen werde. Wie es anfing, so wird es enden. Ich plane noch für zwei Spielzeiten den Theaterbetrieb in Lemgo fortzuführen. Was danach kommt, werden wir sehen. Aber eins ist für mich sicher: wenn ich gesund bleibe, werde ich mein Hobby nicht an den Nagel hängen und Nägel.. gibt es viele.
Was wird in dieser Spielzeit in Lemgo gespielt?
Wir planen vier Stücke. Drei Premieren und eine Spielverlängerung. Insgesamt wie erwähnt mit rund 30 Vorstellungen im Kulturbahnhof Lemgo. Anfangs wird es die Tragikomödie „Besuche bei Mr. Green“ von Jeff Baron geben. Anschließend folgen acht weitere Vorstellungen unsere gefeierte Schauspiel- Inszenierung „Heilig Abend“ von Daniel Kehlmann. Ab Februar 2023 kommt das Schauspiel „Dinge, die ich sicher weiß“ von Andrew Bovell. Den Abschluss macht im April die Komödie „Illusionen einer Ehe“ von Eric Assous. Alle Infos sind auch auf unserer Homepage www.stattgespraech.de zu finden.
An welcher Inszenierung arbeiten Sie aktuell?
Die Europa-preisgekrönte Tragikomödie „Besuche bei Mr. Green“ von Jeff Baron ist momentan für mich eine sehr intensive und spannende Probenarbeit. Zumal ich in dem Zweipersonenstück mit Ulrich Holle als Mr. Green zusammenspiele. Ulli habe ich künstlerisch viel zu verdanken, weil ich früher auch bei ihm Schauspielkurse besucht habe. Meine Rolle in dem Stück als Ross Gardiner bringt uns so auf eine sehr angenehme Weise wieder zusammen. Die Proben laufen schon fast familiär, da meine Frau Katrin Brakemeier einen Großteil der Regie übernommen hat. „Besuch bei Mr. Green“ ist eine Tragikomödie über den Zusammenprall unterschiedlicher Lebensmodelle, Religionen, Generationen und über Akzeptanz und Toleranz, die für die Überwindung von Grenzen nötig sind. Ich freue mich schon sehr auf die Vorstellungen.
Die 70. STATTGESPRÄCH-Produktion hat am 22. Oktober 2022 im Kulturbahnhof ihre Premiere. Tickets sind noch in der Tourist-Information in Lemgo, Kramerstraße 1 (TEL. 05261 98870) und bei der Lippischen Landeszeitung in Detmold in der Ohmstraße 7 erhältlich.
So – jetzt folgt noch ein Fragebogen, mit dessen Hilfe wir Sie als Person noch etwas „enthüllen“ wollen:
Ihr Künstlername: gibt’s nicht
Alter: 58
Instutition: Freie Theatergruppe „Stattgespräch“, Lemgo
Ihre Funktion: Intendant, Regisseur, Darsteller, Bühnenbildner, Bube für alles
seit: 25 Jahren
Ein paar Vorlieben:
Bier oder Wein: Wein
Kaffee oder Tee: Kaffee
Großstadt oder Land: Großstadt
Porsche oder Fahrrad: Porsche
Regionale oder internationale Küche: international
Tatort oder Pilcher: nichts von beiden
Ihre erste Begegnung mit dem Theater:
Als Kind: Peterchens Mondfahrt; später durfte ich immer mit meiner Oma „Ohnsorgtheater“ im Fernsehen gucken
Ausbildung/Beruf außerhalb des Theaters:
Zunächst Bäckerlehre, später Verwaltungslehre; jetzt Verwaltungsfachwirt bei der Stadt Lemgo
Theater-Ausbildung: da bin ich so reingewachsen, verschiedene Schauspielkurse
erste eigene Theater-Arbeit: politisches Kabarett in Hamburg
Ihre größten Erfolge: Unsere Inszenierungen: „HERREN- Mondlicht & Magnolien- Die Wahrheit- Unsere Frauen- Sechs Tanzstunden in sechs Wochen, Heilig Abend und natürlich Hermanns-Schlacht
Ihre größte Niederlage: Unsere Inszenierung „Pinguine können keinen Käsekuchen backen“ – ein wunderbar revolutionäres Kinderstück, das aber bei unserem Publikum nicht ankam
Lieblingsrollen? Richard Endlich in „Endlich allein“ aktuell jedoch Thomas in Daniel Kehlmanns Schauspiel „Heilig Abend“ und Ross Gardiner in Jeff Barons Tragikomödie „Besuch bei Mr. Green“
Ihre liebste Regiearbeit: eigentlich alles
Ihr liebster Film: Der 3. Mann
Ihr liebster Roman: „Mephisto“ von Klaus Mann
Ihr liebstes Gedicht: Fontanes „John Maynard“
Lieblings-Musik: klassisch
Ihr liebster bildender Künstler: das Multitalent Jean Cocteau, sowie Edward Hopper
Ihr liebster Theater-Autor: Shakespeare
Ihr liebstes Stück: Othello
Die anrührendste Frauenrolle: Die Vera in „Asche und Aquavit“ von Bengt Ahlfors
Die schurkischste Männerrolle: Arturo Ui (von Bertolt Brecht)
Ihre Traumrolle/ -inszenierung: Arturo Ui
Welchen Schauspieler / welche Schauspielerin / welchen Regisseur würden Sie gern mal bei „Stattgespräch“ einsetzen?
Ulrich Tukur / Susanne Lothar (sie ist zwar leider schon tot – aber die Frage ist ja ohnehin fiktiv) / Peter Zadek (auch schon im ewigen Theaterhimmel)
Ihr schönstes Theater-Erlebnis in den letzten Jahren: „Der Kirschgarten“ am Hamburger Thalia
Ihr Hobby außerhalb des Theaters? Mein Hobby „Theater“ reicht ja wohl
Was wollen Sie unbedingt noch loswerden?
Danke an unser Publikum für die Treue, die es uns seit Jahrzehnten bewahrt und dabei auch für unsere Experimente offen ist. – Danke an mein Ensemble und alle Mitwirkenden, dass sie diesen Wahnsinn immer noch mitmachen- und Danke an meine Familie, dass die mich so nimmt wie ich bin..
Die Fotos zeigen Frank Wiemann in verschiedenen Rollen.